REISEBERICHTE

REISEBERICHT SÜDAMERIKA, Februar 2009


Partimos ao Brasil
Freitag, 06. Februar 2009


Rechtzeitig begleitet uns Dani, der nebst Werner zu Baron schauen wird, mit dem Auto zum Flughafen Zürich.
Hier checken wir bei Air France ein, soweit so gut, das Gepäck soll bis São Paulo durchgehen und wir sollen in Paris Charles de Gaulle
neue Bordkarten für die brasilianische Fluggesellschaft TAM erhalten.
Also nehmen wir noch gemeinsam ein Mittagessen und harren nun der Dinge, die da kommen sollten.
Rechtzeitig begeben wir uns zum vorgegebenen Gate, um für den Einstieg breit zu sein. Doch hier heisst es, das der Flug nach Paris etwa
30 Min. verspätet sein wird. Also warten. Zuletzt wird es über eine Stunde bis das Flugzeug überhaupt bereit ist. Mit einem riesigen Liftfahrzeug werden wir dann schlussendlich doch zur Maschine gebracht und wir können ein einsteigen, in den Jumbolino genannten Flieger.  Unsere Anschlusszeit in Paris sinkt von über 2 auf weniger als eine Stunde. Zum Glück dauert der Flug dann bis Paris nicht ganz solange, wie angekündigt. Zudem entschuldigte sich Air France dass in Zürich kein Essen eingeladen wurde und sie deshalb nur jedem Passagier ein kleines Getränk abgeben können.
In Paris werden wir auch abgeholt und es geht in einem ähnlichen Liftfahrzeug an Dutzenden von Flugzeugen vorbei von Terminal zu
Terminal, bis wir am richtigen angekommen sind. Hier sollte uns ein weiterer Angestellter abholen, um die Bordkarten für die brasilianische Fluglinie TAM zu holen.
Doch unsere Nerven wurden bereits ganz schön beansprucht, denn der Zuständige wollte die längste Zeit nicht erscheinen. Endlich war es
dann soweit, durch Gänge und mit dem Lift runter, kamen wir endlich zum Schalter der TAM, bekamen die Bordpapiere und mussten – natürlich schon wieder - durch die Sicherheitskontrolle. Das Gepäck war ja schnell kontrolliert, Markus auch, sie scheinen es nicht so besonders Gründlich zu nehmen, doch bei mir waren sie sich nicht im Klaren wie vorzugehen, wegem Rollstuhl, es musste ein Vorgesetzter mit entsprechender Erfahrung zugezogen werden. Und das konnte dauern. Draussen regnete und stürmte es und durch die undichten Dächer des grössten französischen Flughafens tropfte es auf die Abfertigungstheken!
Endlich kam die verlangte Person und ich musste mich mit ihm in eine Kabine begeben, wo dann aber die „Untersuchung“ eher ein Witz
 war und wir nur etwas rumscherzten. Jetzt aber galt es und wir mussten die langen Flure entlang bis weit draussen zum zuständigen Gate. Da erwartete man uns schon, das Personal von TAM war sehr freundlich und zuvorkommend. Endlich drinnen im Airbus konnten wir es uns sehr gemütlich machen, denn wir bekamen zu zweit gleich 4 Sitze in der Mitte. Sehr zügig ging nun alles und pünktlich waren wir in der Luft.
Schon bald nach dem Abflug erfuhren wir, das wir schon um 04.50, statt erst um 05.50 Uhr (brasilianische Zeit), in São Paulo Guarulhos
 landen werden. Nicht schlecht! Nach einem Abendessen aus Gnocchi mit einer Spur Bolognese Sauce und etwas Käse, leckerem Salat und Milchreis, konnte die Nacht anbrechen.
Gut, wirklich Schlafen war nicht, denn es ist doch immer viel los in einem solchen Flugzeug und auf zwei Sitzen zusammengekauert zu liegen
 ist auch nicht so bequem. Dazu kommt das wir mehrmals ziemlich starke Turbulenzen durchflogen und zwar nicht nur über dem Nordwesten des spanischen Festlandes, auch über Madeira, den Kanarischen Inseln, in der Nähe der Azoren und über den Kapverdischen Inseln. Ja unser Flug führte zuerst über Spanien, Portugal und dann immer entlang der Westafrikanischen Küste und erst auf der Höhe der senegalesischen Grenze ging es raus über den offenen Atlantik. Später er-reichten wir von Norden kommend die brasilianische Küste bei Fortaleza, nachdem wir schon über eine Stunde zuvor den Äquator überquert hatten.
Wie von TAM versprochen landeten wir auf die Minute genau um 04.50 Uhr in Guarulhos, dem internationalen Flughafen nordöstlich von São Paulo, der grössten Stadt von Brasilien und Südamerika. Hier wurden wir auch gleich von einem ganz jungen Assistenten des Flughafen empfangen, er hatte heute seinen ersten Arbeitstag.
Als wir in Richtung Gepäckabgabe kamen, wurde der Name „Vollack“ aufgerufen und wir präsentierten uns am Schalter. Es geht wohl nicht ohne Panne! Air France hatte in Paris vergessen unser Check-in Gepäck mit allen Kleidern von ihrem in den brasilianischen Flieger zu laden, es war zu jenem Zeitpunkt noch immer in Paris. Natürlich ging der Papierkram los, Formulare ausfüllen, wobei zuerst nur feststand, das Markus seine Tasche fehlte, erst später mussten wir feststellen, das auch meine Tasche nicht ankam. Wenigstens wurde dann endlich der Rollstuhl gebracht! Dazu kam, das ich gleich dies alles in brasilianischem-portugiesisch abwickeln musste, das nennt man „ins kalte Wasser geworfen“ zu sein. Es scheint allen Passagieren, die in Paris umgestiegen sind, gleich zu ergehen.
Schlussendlich konnten wir noch durch die Zollkontrolle und die amtlichen Räumlichkeiten, welche etwa dem Charme und Zustand von Charles de Gaulle entsprechen, den Flughafen verlassen. Es war inzwischen schon 6 Uhr durch.
Also ab zu einem Café com Leite (Milchkaffee), obwohl wir ja im Flugzeug auch schon ein Frühstück hatten, um 03.20 Uhr früh! Natürlich
 musste auch noch Geld gewechselt werden. Auf einen Dollar oder Schweizer Franken (diese kann man allerdings in Südamerika nicht so einfach wechseln, Euro hingegen schon) bekommt man immerhin 2 Reais und dies schon seit einigen Jahren. Brasilien geht es wirtschaftlich nicht schlecht, wie wir noch erfahren werden.
Anschließend Suche nach dem richtigen Fahrkartenschalter der Busgesellschaft Caprioli, der einzigen die vom Flughafen Guarulhos nach
 Campinas, über 130 km, fährt. Der Busbahnhof ist fast so lange wie die beiden Terminals des Flughafens, da muss man sich durchfragen. Schliesslich finden wir den Schalter, ich besorge die Fahrkarten und eine Information. Montag werden wir sehr früh aufstehen müssen, denn wir müssen den Bus um 04.30 Uhr ab Campinas nehmen, um rechtzeitig am Flughafen sein zu können.
Nun erleben wir es, wie es ist wenn ein Volk von 180Millionen Menschen fast ganz auf die Strasse angewiesen ist, um sich fort-zubewegen.
Seit dem die Eisenbahnen hier, bis auf 3 Strecken landesweit, jeden Fernverkehr einstellen mussten und nur noch Vorortszüge oder U-Bahnen wirklich viele Personen befördern, spielt sich sonst alles auf der Strasse ab. Entsprechend zahl-reich sind die Busse aller Art, welchen wir auf der Fahrt begegnen.
Wir fahren entlang der nördlichen „Ausläufer“ der riesigen Stadt São Paulo, die immer noch unaufhaltsam wächst und wie in einer Art Zellteilung
 immer wieder neue Gemeinden hervorbringt. Hier spalten sich Stadtteile mit über 100'000 Einwohnern, wenn sie wollen, von der bisherigen Gemeinde ab. Es gibt noch viele Vororte welche dies tun könnten. Unterwegs fahren wir auch einer Favela entlang, einem Armenviertel. Ich kenne zwar dessen Namen nicht, doch die meisten haben sehr wohlklingende: Mir kommen nur gerade solche wie Villa Cristalina, Agua Santa, La Perla, Ponte dos Bandeirantes, Brooklin Paulista und Villa Clarisse in den Sinn, alle heute zu Gemeinden im Raum São Paulo erhoben. Die Favela hier an der Strasse zieht sich wirklich bis auf den Asphaltrand der Autobahn hin, Kinder spielen da wo eigentlich der Pannenstreifen ist und dies in einem Land, das eigentlich sehr um Sicherheit bemüht ist. Der Verkehr läuft flüssig aber nicht schneller als in der Schweiz oder Deutsch-land, die Autobahn hat stellenweise nur mehr Spuren. Es ist zwar Samstag, aber es findet Schülerverkehr statt. Und sogar hier werden die Grünstreifen an den Straßen gepflegt. Einmal unterqueren wir die Metrolinie Nummer 1, auf deren Brücke sich soeben zwei Züge kreuzen. Kein Wunder, die Metro São Paulo verkehrt alle 90 Sekunden, nur die Fernbusse nach Rio de Janeiro sind noch häufiger unterwegs. Diese Metro gehört, nebst jener von Moskau, zu den effizientesten der Welt und das Netz wird laufend ausgeweitet und es ist sogar eine Zugfolge von 70 Sekunden geplant!
Erst nach vielen Kilometern, es muss wahrscheinlich in der Gegend oder auf der Höhe von Francisco Morato sein, verlassen wir das Stadtgebiet und es wird ländlich. Wälder, wenig Landwirtschaftsland, immer wieder Siedlungen, machen die sehr gebirgige Gegend recht abwechslungsreich. Die Sonne scheint und wir haben den Smog von São Paulo hinter uns gelassen. Wir durchqueren Jundiaí, Louveira, Vinhedo und Valinhos, alles Orte, die mal von der Bahn bedient wurden und erreichen, nach knapp 2 Std. die Rodoviária Largo do Pará (Busstation Pará – Platz) in Campinas, gerade gegenüber vom Hotel Mercure.
Es ist schon angenehm warm. Wir erreichen das Hotel und schreiben uns ein und beziehen unser Zimmer. Nach einer erfrischenden Dusche
 und einer kurzen Pause beschliessen wir in die Stadt zu gehen, um wenigstens ein T-Shirt zum wechseln zu kaufen – denn wir trauen der Air France nicht mehr so sehr – ob am Sonntag dann mal die Taschen kommen sollen.
Ins Zentrum geht es vom Hotel aus laufend abwärts. Campinas zählt etwa 1,9Mio. Einwohner und ist eine sehr geschäftige, relativ wohlhabende
Stadt. So sieht man auch nur vereinzelt Obdachlose (in Brasilien „Strassenbewohner“ – Moradores da Rua – genannt). Die Gehwege sind etwa so uneben, wie damals in der DDR, die Bordsteine sehr hoch, doch an den meisten Kreuzungen sind, manchmal etwas halsbrecherische, Rampen für zu finden. Praktisch jedes Gebäude mit einer öffentlichen Funktion weist Eingangsrampen auf und sehr viele der hier verkehrenden Stadtbusse haben Hebebühnen für Rollstuhlfahrer, wie man sie aus den USA her kennt – nur ist hier alles „Made in Brasil“. Wo wir auch hinkommen, überall sind die Menschen am kaufen, am essen usw. Die Wirtschaft scheint hier wirklich nicht zu leiden. Ungewohnt ist für uns die Frage, ob wir die T-Shirts in einem Mal oder in drei Monatsraten mit der Kreditkarte bezahlen wollen. Dies hat hier aber seine Gründe. Als die Währung (Cruzeiro, Novo Cruzeiro, Cruzado) vor noch nicht einmal gut 20 Jahren so instabil war und es zu Tagesinflationen von vielen 100, ja gar über 1000 % kam, begannen die Leute immer sofort das erhaltene Geld auszugeben. Da der Handel jedoch auch am nächsten Tag noch etwas verdienen wollte, begann er schon damals Ratenzahlungen, leicht unter der Inflationsgrenze zu ermöglichen, nur die Preise wurden schon im voraus entsprechend hoch gesetzt. Dies trieb zwar die Inflation noch etwas an, doch auf der anderen Seite brach der Handel nicht ganz zusammen. Mit der heute recht starken Währung läuft das Geschäft mit den Ratenzahlungen blendend, man kann fast alles in 3 bis 24 Raten bezahlen.
Wir haben inzwischen die Markthalle der Stadt erreicht. Ich wusste nicht das man die vielen Sorten Chili-, Piment-, Paprika- und Piripirischoten
 farblich so kunstvoll in Gläser einfüllen kann. Dann gibt es da Gewürzstände, wie sie in Indien oder dem Orient nicht besser sein können. X-Sorten Reis und Bohnen. Maniokmehl, Fischereiartikel, Textilien, alles was man braucht – und natürlich Früchte und Gemüse. Karotten fast unterarmdick, riesige Kartoffeln (diese Knolle kommt ja von diesem Kontinent), Limonen, alle möglichen nie gesehenen Früchte, eine sieht aus wie ein weisser Igel mit langem Schwanz – keine Ahnung was es ist. Oft werden ganze Kokosnüsse angeboten. Da wir hier nicht an der Küste sind, findet man Fische und alle möglichen Meerestiere getrocknet, hingegen hängen riesige Fleischstücke in den Kühltheken der Fleischer. Würste aller Art und Gebäck sind zu finden. Nicht zu vergessen die Stände an denen Unmengen Heilkräuter- und Kräutermischungen angeboten werden, auf deren Basis ja auch die moderne brasilianische Medizin und Pharmaindustrie basieren, denn das Land weist eine solch hohe Dichte an Heilpflanzenarten auf, selbst China hat nicht so viele und muss sich welche auf der ganzen Welt beschaffen. In Brasilien wachsen sie alle wild. Siehe zum Beispiel die brasilianische Version von Viagra, wirksamer und gesundheitsschonender für den Anwender, kostet fast 80% weniger als das synthetische Originalpräparat. So ergeht es nahezu allen Medikamenten, die es auf der Welt gibt, sie werden hier „nachgebaut“ mit den hier vorhandenen Wirkstoffen – nur lässt man bis heute Brasilien diese Präparate nicht weltweit vertreiben (siehe den von amerikanischen, französischen und schweizerischen Pharmafirmen gegen Brasilien und Südafrika laufenden Rechtsstreit in dieser Frage). Natürlich macht uns so etwas hungrig und an einer kleinen Imbissbude (hier Butequim bezeichnet) lassen wir uns überraschen. Wir bestellen grosse Teigtaschen, in denen sich eine Art riesige Frikadelle befindet, mit etwas Piripiri-Sauce (die brasilianische Antwort auf Tabasco) gewürzt schmeckt das herrlich. Dies war eine selbst für Brasilien eine sehr preiswerte Mahlzeit, kostete doch alles inkl. Getränken nur gerade 8 Reais für zwei. Um den Lesern andere Preisbeispiele zu geben: Benzin 2.50 bis 2.80 Reais; Alkohol (Benzinersatz für Autos) 1.40 Reais; Küchenpapier 2 Rollen 8.90 Reais, 1 Dose Coca Cola 3 Reais, 1 Liter Speiseöl (Soja) 3,68 Reais.
Der Rückweg zum Hotel wird etwas beschwerlicher, müssen wir doch alles den Berg hinauf. So braucht Markus zwei Abkühl-ungspausen,
einmal bei einer „Sorvete“ (Eiscreme) eines weltbekannten  Herstellers und einmal bei einem Dosengetränk.
Wieder im Hotel, holen wir erst einmal unseren Schlafbedarf nach, denn hier ist auch ein sehr spätes Nachtessen nichts ungewöhnliches.
Wir werden sehen, was der nächste Tag bringen wird.  

O Brasil em festa
Sonntag. Nach einer ausgiebigen Nacht begeben wir uns zum Frühstück. Selbst die Marmeladen sind hier zum Teil von uns unbekannten Früchten, nicht zu reden von den Fruchtsäften. Man bekommt nicht nur verschiedene Brote, Joghurts, Fleisch, Käse usw. sondern auch Früchte aller Art und herrliches Gepäck, so Kokoskuchen, Schokokuchen und eine sehr interessante Süssigkeit, die zwar aussen wie ein Knödel aussieht, aber eigentlich aus einem Biscuitteig besteht und innen mit einer Kastanienmasse (etwa wie Vermicelles) gefüllt ist.
Eine Anfrage nach dem Verbleib unseres Gepäcks blieb leider erfolglos.
Anschließend, gegen 9 Uhr, begaben wir uns rüber zum Largo do Pará an den dortigen Taxistand. Schnell war ein passendes Fahrzeug gefunde und wir traten unsere Fahrt zum Bahnhof Anhumas an, der doch recht weit im Nordosten der Stadt liegt. Wir hatten einen alten, aber sehr freundlichen Chauffeur. Schon als er hörte das wir mit der Dampfbahn, der Maria-Fumaça, fahren wollen, war er hoch erfreut. Als ich ihm dann noch, mit Recht von seiner grünen und sauberen Stadt Campinas vorschwärmte, war er grad ganz aus dem Häuschen. „Sou Campinheiro“ (ich bin aus Campinas) kam stolz und freudig zugleich aus seinem Mund und er war sichtlich glücklich das sich Fremde so über seine Heimat äusserten.
Bei der Fahrt bekamen wir viel von dieser großen, weitläufigen Stadt, die zum teil solch steile Straßen hat wie San Francisco, zu sehen. Unterwegs unterquerten wir sogar eine ehemalige Brücke dieser Bahnlinie, die früher bis zum Hauptbahnhof führte.
In Anhumas angekommen war schon viel Betrieb auf dem Bahnsteig. Reisegruppen und Familien trafen laufend ein, zum „Passeio“ dem Ausflug mit dem Zug. Ganz am Ende der Geleise wurden inzwischen zwei Lokomotiven angefeuert, alles Holzfeuerung, eine Bahntradition in Brasilien. Markus konnte bereits fleissig filmen. Der Bahnhof Anhumas besitzt noch eines der traditionellen Bahnhofsgebäude aus der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Es ist alt, aber gut unterhalten. Kein Wunder, die Museumsbahn ist ja seit 25 Jahren ohne Unterbruch jedes Wochenende ab hier im Einsatz. Der Wagenpark, wie auch die Loks, stammt von den unterschiedlichsten ehemaligen Bahngesellschaften Brasiliens. So von der Sorocabana, Noroeste do Brasil, der Mogiana (sozusagen der Hausstrecke), der Central oder der Rede Mineira de Viação.
Entgegen des Wetterberichtes im Internet strahlte eine warme Morgensonne.
So gegen 10 Uhr hätte der Zug bereitgestellt werden sollen. Aber was bedeutet Zeit bei einer Museumsbahn, die auf andere Züge keine
Rücksicht nehmen muss? Auf dem Bahnsteig wimmelt es inzwischen von Menschen, einige hundert, alle Rassen, sozialen Stufen und Altersgruppen sind zu finden. Passend läuft, recht laut, Musik. Nicht irgend etwas, sondern nur populäre beschwingte Stücke zum Thema Eisenbahn – und davon gibt es in Brasilien unzählige. So Express 2222, oder Oí o Trem und natürlich entstammen sehr viele dieser Bahn-Samba-Rhythmen aus den verschiedenen Karnevals, aber auch das weltberühmte Stück „Cidade Maravilhosa“ (welches das 500 km entfernte Rio de Janeiro besingt) darf nicht fehlen. Immer wieder tanzen Leute auf dem Bahnsteig, alt und jung reisst es mit. Natürlich bewegt sich auch was auf den Geleisen, die Loks werden am Bahnsteig entlang geführt und unzählige Male wird ausgerufen, das sich die Passagiere hinter der gelben Linie (die hier zwar ein schwarz/gelbes Plastikband ist) aufzuhalten, es wird laufend auf die Gefahren, welche durch den Zug entstehen können, gewarnt. Ganz langsam schieben sich die zwei Loks, in einigem Abstand voneinander den Bahnsteig entlang begleitet vom Applaus und Jubelrufen der anwesenden Passagiere. Ich konnte noch nirgends auf der Welt eine solche ausgelassene, ja euphorische und überschwängliche Stimmung erleben, weil eine Lokomotive vorbei schleicht. Man kann diese Stimmung nicht in Worte fassen und jeder Leser müsste sie selber erfahren. Mich übermannen die Gefühle schlichtweg: Bin ich doch in dem Land, zu dem ich schon über 30 Jahre Verbindungen hatte (mit Brasilianern gearbeitet, erstes Land mit Briefkontakt). Dieses Land, seine unvergleichlichen Menschen, diese Mischkultur usw. selber zu erleben, ich weiss jetzt noch nicht, ob dies alles Realität war.
Die Lokomotiven werden ans nördliche Ende des Bahnsteiges gefahren und im Sekundenabstand dürfen die Crianças (Kinder) schnell
draufstehen, werden von ihren Eltern gefilmt oder fotografiert, alles geht sehr schnell und recht geordnet seinen Lauf. Danach werden die beiden Loks aus dem Bahnhof gefahren, um kurz danach auf dem dritten Gleis Personenwagen abzuholen. Ja man bekommt
Fahrkarten zusammen mit Platzkarten und während die Vollpreis Hin-und Rückfahrt auf 40 Reais kommt, bin ich höchst erstaunt, als ich auf die 80 Reais die ich am Schalter hinlege, wieder 20 zurückbekomme. Hat er falsch gerechnet? Nein, ich werde umgehend aufgeklärt das Behinderte, wie auch Pensionierte ab 60, Kinder und und ... nur den halben Fahrpreis bezahlen. Wie ich später in Jaguariúna erfahre, bezahlen Einwohner der kleinen Orte an der Strecke und der Gemeinde Jaguariúna noch weniger für die Bahnfahrt, denn der Zug wird, wie ganz offensichtlich fast alle Touristenzüge in Brasilien auch für die Beförderung der lokalen Bevölkerung genutzt, ein Schritt, der unter der aktuellen Regierung von Lula da Silva noch verstärkt wurde. Also eine Touristenbahn mit Erfüllung sozialer Zwecke. Bravo Brasil!
Als der Zug an den Bahnsteig gefahren wird ertönen laufend die Durchsagen am Lautsprecher, damit die Reisegruppen den richtigen Wagen
finden, das man erst zusteigen darf wenn der Zug steht usw., doch das Ganze wird wieder von Applaus und „o trem, o trem“ (der Zug, der Zug) Rufen begleitet. Trotzdem klappt der Einstieg der Passagiere geordnet und Reibungslos. Für Rollstuhlfahrer ist im Wagen Nummer 3 eine ausreichend grosse Fläche ohne Sitzbank und dieser Wagen hat eine etwas grös-sere Einstiegsplattform und ist somit, mit etwas Hilfe natürlich, gut mit dem Rollstuhl zu erreichen.
Was auch hier wieder auffällt, es gibt keine Klassenunterschiede zwischen den Mitgliedern der ABPF (Associação Brasileira de Preservação Ferroviária – Brasilianische Vereinigung für den Erhalt von Bahnen, sie ist in über der Hälfte aller Bundesstaaten vertreten) und es arbeiten sehr viele Frauen, vorwiegend jüngere, mit.     
Kaum sind alle zugestiegen präsentiert sich in jedem Wagen eine Begleiterin, welche unterwegs auch von der durchfahrenen Region und der
lokalen Geschichte sehr kompetent berichtet. Sie stellt sich vor als Neni, eine extrem schlanke grosse schöne schwarze Frau vielleicht in den 20ern. Sie erklärt warum Kinder (und davon reisen sehr viele mit), nicht unbegleitet im Wagen umher rennen dürfen, weshalb die Türen zu den Aussenplattformen immer geschlossen werden müssen, das es strafbar sei Abfälle oder sonst was aus den Fenstern zu werfen, das ein komplettes Rauchverbot im Zug bestehe usw. Und wie wir zu unserer großen Freude feststellen konnten hielten sich die Leute daran. Im Zug gebe sogar verschiedene Mülltonnen, denn auch die ABPF trennt Müll.
Die Fahrt geht los. Vom Bahnhof Anhumas weg unter einer Strassenbrücke durch, entlang einiger etwas heruntergekommener Wärterhäuser,
die heute privat bewohnt sind, dann durch eine Art Gewerbegebiet, wo aber auch einige Rohbauten neuer Wohnhäuser stehen. Doch schon bald klatschen Zuckerrohrhalme gegen die Wände des Zuges, doch alle anderen „stabileren“ Gewächse sind zurückgeschnitten, um die Fahrzeuge und auch deren Passagiere, nicht zu gefährden.
Schon nach wenigen Kilometern die erste Erklärung zu einer Fazenda (Hacienda) unweit des Geleises, die früher sogar eine Bahnhaltestelle für
ihr Personal besass, das Wärterhaus steht sogar noch am Gleis. Hier, wie auch bei allen anderen Fazendas spielte die Kaffeeproduktion eine grosse Rolle und sie entwickelten sich mit der Ankunft der Eisenbahn erst richtig.
Kurz danach folgt die Station Pedro Américo, ein schlichtes Gebäude, dem man die Jahre schon sehr ansieht, aber die zahlreichen Blumen
darum herum lassen den Zustand vergessen. Es geht weiter. Zuckerrohr, Mais, Obstpflanzungen begleiten uns und es geht öfters rauf und runter. Etwa nach der Station Tanquinho (kleiner Tank) folgt links eine erneute Fazenda, sehr schön gelegen und top unterhalten sind die Gebäude, einige Pferde grasen hier. Sie gehörte dem ehemaligen Kaiser Dom Pedro I, er liess hier nicht nur Kaffee aus aller Welt anbauen und veredeln, sondern führte auch klimaspezifische Rinderzuchten ein, welche durch Kreuzungen entstanden und wie wenn es abgesprochen gewesen wäre, erscheint rechts oberhalb der Bahn ein origi-nales afrikanisches Zeburind.
Der Bahnhof Desembargador Furtado befindet sich in einem jämmerlichen Zustand, ohne Dach, die Türen und Fenster sind nur noch offene
Höhlen, doch dies wieder inmitten einer überquellenden Natur.
Wenig später erreichen wir den Bahnhof Carlos Gómez. Der eigentliche Betriebsmittelpunkt der Strecke, mit Hauptwerkstätte. Es stehen
massenweise alte Fahrzeuge herum, einige in Arbeit, andere als Ersatzteilspender oder „aguardando verba“ (auf Finanzen wartend). Nicht alle sind ganz alte Fahrzeuge, zum Bestand gehören auch einige Inoxwagen (gebaut in den 1950ern bei Budd USA), die teilweise eingesetzt werden. Die Fahrzeugvielfalt ist gross. Hier werden die Loks auch immer mit Brennmaterial versorgt, grob zerteilte Holzpaletten, Rundholz, was halt anfällt. Wir sehen auch grosse Stapel Stahl/Beton Biblocschwellen, diese wurden bei Streckenerneuerungen am Meterspurnetz der Güterbahn ALL gesammelt und zu dieser Bahn gebracht, wo sie laufend die alten Holz- und Ganzstahlschwellen, die oft schon über 50 Jahre alt sind und in den Tropen entsprechend gelitten haben, ersetzen.
Dann folgt der letzte Abschnitt der 24 km langen Strecke. Teilweise geht es bergab, dann über eine erste Flussbrücke, vorbei an der alten
Haltestelle Jaguariúna, an welcher der Zug bis 2005 enden musste, denn der ursprüngliche Viadukt in der Stadt Jaguariúna wurde durch die Stadt Mitte der 1980er Jahre abgerissen (trotz Museumsbahnverkehr!). Nun geht es wieder direkt in die Stadt hinein, Dank dem initiativen Bürgermeister, der ein modernes Betonviadukt in grossem Bogen über das Zentrum bauen liess, um den alten Bahnhof wieder zu erreichen. Fast ehrfurchtsvoll rollt der Zug langsam über dieses neue Bauwerk, welches nichts ist für Leute die nicht schwindelfrei sind, denn man sieht beim runtersehen nichts von der Brücke, sondern gera-deaus auf die Straßen. Obwohl der Zug jeden Samstag und Sonntag (und als Charterfahrten auch unter der Woche) verkehrt, winken die Anwohner überall freundlich rüber. Um den Bahnhof zu erreichen, muss der Zug nun einen Doppelkreisel überqueren (2 Kreisverkehre unmittelbar aneinander) und die Polizei sperrt hier den Verkehr vorbildlich ab, damit wir den Vortritt haben!
Im Zug ist die Stimmung bis zuletzt perfekt, es kommt sogar zum Tausch von Emailadressen mit einer Brasilianerin.
Jetzt rollen wir in den Bahnhof Jaguariúna ein, eigentlich auf dem ehemaligen Gleis 3, denn die Geleise 1 und 2 wurden schon vor langer
Zeit entfernt und durch einen kleinen Park zwischen dem schön restaurierten Bahnhofsgebäude und dem immer noch sehr gut erhaltenen Bahnsteig mit seinem Dach ersetzt.
Da jedoch zur Umfahrung des Zuges durch die Lok ein zusätzliches Geleise notwendig ist, hat man einfach eines in die parallele Strassenfahrbahn gelegt. Bei Zugsbewegungen schliesst die Polizei einfach die ganze Strasse für den Strassenverkehr. Nun wir steigen aus. Es geht schon gegen Mittag und Markus schiesst noch einige Bilder. Während ich auf dem Bahnsteig alleine warte, kommt plötzlich eine nette Frau auf mich zu und drückt mir einfach ein Stück herrlichen kalten Thunfisch-Reiskuchen in die Hand und ich konnte mich kaum richtig bedanken, da kam ihre Enkelin mit Limonade. Nein kein Verkauf, die ganze Grossfamilie macht 3 Meter von mir Picknick, Berge von Essen und Trinken, und wer in der Nähe ist bekommt was ab. Wir kommen ins Gespräch. Die ältere Dame kennt die Schweiz ein wenig, als Mädchen kam sie von ihrem Geburtsort bei Rom einige Male zu Besuchen in die Schweiz, doch nun lebt sie schon sehr lange mitten in São Paulo. Sie seien zum ersten Mal mit dieser Bahn gefahren, es sei die beste weit und breit und als Oberhaupt der Familie habe sie beschlossen, das nun regelmässig hierher gefahren wird. Zwischendrin muss ich auch den süssen Grieskuchen mit Schokolade kosten, ebenfalls sehr lecker und als Markus zu uns stösst, wird er auch sofort mit dem Thunfischkuchen versorgt.
Wir verabschieden uns von der sehr netten Dame und sie strahlt, als wir dies erst noch in italienisch machen.
Dann begeben wir uns ins Restaurant „Butequim da Estação“.
Was wir da sehen was an den anderen Tischen aufgedeckt wird, können wir kaum fassen. Ganze Churrascos (gegrilltes Fleisch, welches auf
heissen Platten weiter gart, mit Maniok (Mandioca), Reis (Arroz), Salaten usw. Wir entschliessen uns vor allem zu trinken und dazu Salat zu essen. Eine Salatportion, entspricht etwa dem Doppelten wie in Europa üblich und was da alles drauf ist, Blattsalate, Erbsen, Möhren, Sellerie, Rote Beete (Randen), Eier, Schinken, Käse und ganz hervorragend und reichlich, Palmherzenstücke! Man bekommt Balsamicoessig und Olivenöl und Salz separat gereicht, es gibt offensichtlich nie angemachte Salate. Wir geniessen dieses herrliche Essen. In der Zwischenzeit ist unser Zug nach Campinas zurückgekehrt und gegen 14 Uhr wird die nächste Komposition bereitgestellt. Sie ist etwas kürzer und besteht aus den Wagen, welche am Ende des Bahnhofes standen. Er wird einen Zug nur von Jaguariúna nach Tanquinho bilden. Dies ist nun eine dieser Fahrten, die entweder nur von Touristen in Jaguariúna oder von Anwohnern entlang der Strecke genutzt wird.
Nach Ausfahrt des Zuges begeben wir uns in das wirklich niedlich hergerichtete Museum der Bahn in Jaguariúna. Es wird von ehemaligen Eisenbahnern geführt und zeigt allerlei Geräte, Electric-Staff Kästen, Morseapparate, viele Bilder und Schilder, aber auch wie früher das Geleise aufgebaut war. Die kleine Spende für den Unterhalt des Museums, wollen die 2 Herren erst lange nicht annehmen, ich musste sie regelrecht überreden, das sie auch viele Kosten dafür hätten. Ich habe damit nur im Sinne von FLB/AIFFLA gehandelt. Unmittelbar daneben findet auf einem überdachten Platz ein Markt statt, nicht nur für Süssigkeiten, Öle, Schnäpse und Kleinkram, nein auch wunderbar gemalte Bilder (leider Fotografierverbot), welche zum Teil 1:1 von meinem Bruder Menel stammen könnten. Eine eiskalte Kokosmilch löscht den Durst prima!
Danach setzen wir uns wieder an einen der Tische vor dem Bahnhof, denn es sind gleich mehrere Restaurants hier untergebracht. Es ist warm,
einiges über 30° und in der Ferne ziehen schwarze Wolken auf. Wir trinken von den herrlichen Fruchtsäften, grosse Gläser für knapp einen Euro, jedesmal frisch gemacht! Erdbeere, Maracuja (Passionsfrucht) und solche deren europäischen Namen uns nicht bekannt sind, doch einer leckerer, als der andere.
Markus beschliesst noch zwischen den Zügen über’s Viadukt zu gehen, denn er hatte südlich des Viaduktes ein Signal gesehen, dies wollte er
dann auch fotografieren.
Während Markus unterwegs ist bricht das Gewitter los, nicht sehr heftig und nicht sehr lange. Das jedoch in diesen Minuten Teile im Süden und
Westen der gigantischen Stadt São Paulo tief unter Wasser geraten, erfahren wir erst einige Stunden später in der Abendausgabe der Folha de São Paulo, einer immer noch zweimal im Tag gedruckten Zeitung, die sogar rechtzeitig ihren Weg nach Campinas findet.
Der Nachmittagszug aus Campinas trifft ein. Markus filmt noch einmal das Umhängen der Lok und wir steigen ein. Ein reichlich
alkoholisierter (wahrscheinlich Obdachloser) Mann, der schon einige Minuten mit mir im Gespräch war, konnte nicht begreifen, das ein Mensch alleine mich in den Wagen kriegen könne, er bot mir mal die Hilfe der örtlichen Feuerwehr an, dann wieder dachte er daran das es die Jungfrau Maria richten könne, oder soll er nur 4, 5, 6 starke Männer auftreiben?
Nun, auch ohne Mithilfe dieses Senhor schafften wir es in den Zug.
Die Abfahrtszeit kam, der Zug war nicht mehr ganz so stark besetzt wie in der Früh. Nun, in Brasilien sind die Sommerferien ja schon vorbei. Da
das Geleise nass war, hatten die zwei Loks manchmal etwas Mühe die Steigungen zu schaffen, doch wir kamen gut nach Carlos Gómez, da gab es doch einigen Fahrgastwechsel, wobei natürlich viele der freiwilligen Arbeiter dieser Bahn hier von ihrem Sonntagseinsatz den Rückweg antraten. Auch hier zieren riesige Baumgebilde aus Bäumen x-fach um-schlungen von Würgelianen, welche selber Baumdicke erreicht haben, das Bahnhofsgelände, die Bäume sind so gross und dicht, dass der Boden darunter bei Regen nicht einmal feucht wird.
Einige Zuckerrohrfelder weiter die Ruine der Station Desembargador Furtado, diesmal trotz ihrer Trostlosigkeit ein Quell voller Leben, Musik
dröhnt aus Lautsprechern (Strom ist also noch da) und einige Personen, darunter eine wirklich sehr fein gekleidete Dame, steigen in den Zug ein. Weiter geht es, mal gemütlich, mal etwas schneller. In Tanquinho steht eine weitere Lok in der Station, sie muss auch noch mit unserem Zug mit. Da dies einige Minuten dauert, füllen Reisende ihre Wasserflaschen am Brunnen der Station (diese funktionieren selbst dort wo die Bahnhöfe geschlossen sind!), andere nutzen den Halt um draussen zu rauchen. Ja alle nehmen es genau. Keiner raucht im Zug, Handys werden in erster Linie zum fotografieren gebraucht (offiziell ist der Gebrauch von Handys in der Öffentlichkeit in Brasilien verboten – wegen der Gefahr der Beschädigung von Hirnzellen Unbeteiligter!, dies obwohl sogar in Brasilien Handys produziert werden!). Man hört wirklich selten eines bimmeln und wenn – dann dauern die Gespräche Sekunden.
Die Fahrt geht nun weiter, da und dort sieht man Pferde, eines flüchtet vom Zug weg. An den wenigen Bahnübergängen wird heftigst gepfiffen,
obwohl jetzt nach dem Regen die aus roter Erde bestehenden Wege nicht zu befahren sind. Stellenweise fin-det man sogar Strassenbeleuchtung an diesen Erdwegen! Im Abteil vor mir zählt mich ein kleiner Junge von etwa 4 Jahren immer bis auf 10 aus, so das ich ihn dann mal frage „e depois?“ (und danach?), und ich zähle ihm auf: once, doce, treze, quatorce usw. (11, 12, 13, 14....). Er war offenbar ziemlich paff, das nach 10 noch mehr Zahlen kommen.
Der Zug fährt in Campinas ein! Er wird von vielen Leuten erwartet, denn sie erwarten die Ihren, es ist, als ob es hier noch nie ein anderes
Transportmittel gab! Und doch ist dieser Passeio de Maria-Fumaça für viele ein grosses Erlebnis.
Abschliessend müssen wir sagen, die Organisation dieser Bahn und der ABPF können nur als hervorragend bezeichnet wer-den. Es ist alles sehr sicher, es findet eine sehr starke Kundenbetreuung und -führung statt, aus den vorhandenen Mitteln wurde auf jeden Fall das Beste herausgeholt. Vergleichbare Bahnen (ich sage mal aus der Schweiz) müssten nach Brasilien kommen, um zu sehen, wie sie sich noch perfektionieren könnten. Völlig unbürokratisch ruft uns der Fahrkartenschalter ein Taxi und eine Bezahlung wollen sie auf keinen Fall, erst als ich darauf bestehe das die 2 Reais eine Spende sein sollen, werden sie mit überschwenglichem Dank angenommen.
Zurück im Hotel, ist das Gepäck wieder Thema Nummer eins. Ich vereinbare mit der Rezeption das Gepäck, falls es bis Montag früh um
4 Uhr nicht hier ist, nach Montevideo nachzusenden.

Partimos do Brasil
Montag früh, sehr früh. Denn um 03.30 Uhr klingelt der Wecker, oder besser Markus sein Handy. Aufstehen. Zum Glück konnten wir noch am
Vorabend bei Caprioli die Bustickets kaufen, so blieb uns dies erspart.
Nach dem Anziehen und Zusammenpacken der wenigen Dinge die wir bei uns hatten, runter zum Check-out und dann über die Strasse des
schlafenden Campinas, wo nachts sogar die Ampeln teilweise abgeschaltet werden. Bei Caprioli war der Warteraum schon auf und einige andere verschlafene Personen sassen auch schon drin. Also warten wir hier auf den Bus. Dieser kommt pünktlich, bereits mit Passagieren, welche in der Rodoviária (dem Bushauptbahnhof der Stadt) zugestiegen sind. Doch wir haben unsere Plätze fest, Nummer 3 und 4 (selbst in Uruguay sind diese für Behinderte, Schwangere usw. freigehalten).
Alle steigen ein, der Rollstuhl kommt unten zum Gepäck und wir fahren los. So im Halbschlaf, bekommt man die kurzen Halte mit, wenn wer
zusteigt. Nach einer bereits etwas längeren Zeit, werden alle unsanft geweckt „Connecção Congonhas“ Anschluss zum Flughafen Congonhas, welcher sich mitten in São Paulo befindet, wo vor wenigen Jahren ein Flugzeug über die Piste hinaus in die Häuser raste und ein ganzes Viertel verbrannte. Diese Anschlussstelle entpuppt sich ganz einfach als das Dreieck einer Ausfahrt von der Bandeirante Schnellstrasse und an jedem der drei Seiten des Dreiecks steht ein Buswartehäuschen. Es stehen reichlich Leute umher, folglich müssen sich hier einige Buslinien treffen.
Danach geht es wieder weiter in Richtung Guarulhos. Hier angekommen gehen wir sofort zum Check-in der TAM und nach Erhalt der
Bordkarten fragen wir nun auch TAM nach dem Verbleib der Gepäckstücke. Die sehr hilfsbereite junge Frau am Schalter besorgt uns einen Begleiter und wir tauchen ab in den Untergrund des Flughafenkomplexes. Nach unzähligen Ecken und Kurven erreichen wir endlich ein Büro. Hier sitzt eine junge Angestellte, offenbar nur um Gepäck zu suchen. Eine bereits recht genervte Kundin sitzt ihr gegenüber, doch die junge Angestellte bleibt ruhig. Wir bringen unser Anliegen vor, beschreiben nochmal die Gepäckstücke und erklären das in einer Stunde Boardingzeit sei. Sie sucht anhand der Nummern im Computer und sucht wieder und wieder. Plötzlich ein Hoffnungsschimmer: Die Gepäckstücke sind in Brasilien, soeben in Campinas angekommen, ob sie diese aber jetzt sofort zurückbeordern kann, oder ob die Gepäckstücke womöglich noch zum Hotel gehen, kann sie mir nicht sagen. Sie schreibt jedoch die Hoteladresse in Montevideo auf und garantiert uns die Gepäckstücke schnellstmöglich via Guarulhos oder via Curitiba zu senden, vielleicht kommen sie noch heute an... Omar’s Telefonnummer ist auf jeden Fall auch angegeben, so besteht wenigstens ein Kontakt in Montevideo. Endlich ein Lichtblick!
Als wir aus dem Gängegewirr wieder auftauchen gibt es noch einen Kaffee und ein kleines Frühstück und schon müssen wir zum Gate. Hier heisst
es warten und kurz vor der Einstiegszeit wird bekannt, dass der Ausgang geändert wurde, also alles ein Stockwerk tiefer. Dort angelangt wieder warten. Endlich geht etwas. Wir müssen zwar schon mal raus, aber nicht in den Bus. Etwas später kommt ein Kleinbus der Infraero (Infrastrukturbetrieb der brasilianischen Flughäfen), ausgeladen wird ein Rollstuhl mit Treppenraupe. Also umsteigen, alles in den Kleinbus und los geht die Fahrt bis zum Flugzeug. Hier angekommen geht es mit dieser Treppenraupe hoch, hoch, noch höher über die Treppe in den Flieger rein. Einfach nicht runtersehen. Und schon sind wir drinnen. Wir haben die vorderste Sitzreihe in der Economy Klasse, also etwas mehr Beinfreiheit, zudem ist die vorderste Reihe sonst völlig unbenutzt. Mit etwas Verspätung hebt unser Flieger ab. Wir nehmen Kurs nach Süden. Nach einiger Flugzeit erkennt Markus eindeutig die Bucht von Antonina, an die sich der Hafen von Paranaguá anschliesst, wir sind also bereits mitten über Paraná. Etwas später überfliegen wir den Staat Santa Catarina, wo wir von FLB/AIFFLA ja auch schon tätig waren und einige kleine Erfolge erreicht haben. Nach etwa der halben Flugzeit erreichen wir den südlichsten Staat Brasiliens, Rio Grande do Sul, dessen frühere Fluglinie einst die nationale Fluglinie Brasiliens war (Varig = Viação Aérea Rio Grande do Sul). Doch wir sind bei TAM bisher gut geflogen.
Vom Flieger aus sind die Buchten bei Porto Alegre auszumachen und auch der Rio Pardo, also geht es nicht mehr lange und wir verlassen
dieses so warmherzige, freundliche und fröhliche Brasilien. Es war eine Erfahrung, wie man sie nicht oft machen kann!! Adeus Brasil – nenhum vou ouvir-te (Tschau Brasilien – ich werde Dich nie vergessen). Irgendwo bei Rio Branco überqueren wir die Grenze nach Uruguay.
Und Uruguay empfängt uns bereits in der Luft! Mit viel Papier. Die üblichen Ein- und Ausreisepapiere müssen ausgefüllt werden und dazu noch Zollerklärungen für das Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium. Man darf keinerlei Esswaren, die vegeta-risch sind, und/oder irgendwelche Spuren von Milch oder Fleisch enthalten einführen. Also eigentlich nur Kaugummi, oder hat der zuviel Obst dran? Und das mitten im Mercosur, der südamerikanischen Antwort auf die EU. Ich frage mich wer die Rinder in der Region Aceguá oder östlich von Artigas kontrolliert, denn da wo keine breiten Flussläufe die beiden Länder begrenzen, gibt es ja keine Einschränkungen beim Grenzübertritt. Nun ich kreuze sauber an das ich solche Dinge mit habe, Cerealienriegel und Paránüsse mit Basilikum und Trockentomaten gewürzt.
Unsere Route wird immer sichtbarer, denn die Maschine senkt sich schon weit vor Montevideo auf tiefere Höhen. Man kann viele Orte ausmachen,
an der Costa de Oro (der Goldküste) die sich von Montevideo nach Osten bis an die Grenze zum Departamento Maldonado hinzieht. Doch auch im Land dahinter, vor allem im Departamento Canelones kann man viele Orte ausmach-en. Nach einer kompletten „Ehrenrunde“ über ganz Montevideo landen wir in Carrasco, dem internationalen Flughafen von Uruguay (sorry in Punta del Este gibt es auch noch einige Starts und Landungen von/nach Buenos Aires). Immerhin, es kommt auch wieder so ein Hebebühnefahrzeug, um mich abzuholen. Im Fahrzeug drinnen steht die ganze Reserve an Rollstühlen, über welche die staatliche Fluggesellschaft Uruguays, Pluna verfügt. Es ist ein älterer Herr der hier die ganze Arbeit macht. Er schätzt es jedoch sehr, das wir sein Land besuchen, denn Ausländer, ausser aus den zwei Nachbarländern Argentinien und Brasilien, kommen relativ wenige hierher. Kaum mit uns am Boden angekommen bekomme ich meinen eigenen Rollstuhl und es geht im Eiltempo zur Immigration, er treibt die Beamtin sogar an, schneller zu stempeln. Kurz danach haben wir unsere Pässe wieder, wir müssen nur noch geradeaus durch den Zoll. Na mal sehen was er zu unseren ehrlich ausgefüllten Papieren sagt. Dort angekommen beschränkt sich ein Beamter darauf nur das Original des Formulars abzureissen und den Rest drückt er uns in die Hand und die Sache ist erledigt. Nach links weist ein Schild zum Ausgang. Wer nun denkt, das man hier direkt rauskommt irrt. Alle ankommenden Fluggäste müssen durch ein Art Supermarkt, nicht einmal Duty-free, sondern einfach ein Laden der etwas gehobeneren Klasse, man muss jedoch wie im Supermarkt um die Gestelle kurven, um hier wieder rauszukommen. Kurz darauf haben wir geschafft, auch ohne was zu kaufen, in die Empfangshalle zu gelangen. Massenhaft stehen hier Leute mit Schildern auf denen Namen stehen. Unsere Namen sind nicht zu sehen. Also gehen wir in Richtung Ausgangs-türe. Da kommt uns ein sympathischer dunkelhaariger Herr mit einem kleinen Jungen entgegen. Es ist Omar Gil Alvarez, der Sohn des verstorbenen Paares Omar Gil Soja und Eva Gil Alvarez. Eine herzlichste Umarmung folgt der anderen, denn gesehen haben wir uns noch nie, aber schon sehr viel über einander gehört. 
Omar holt sein Auto vom Parkplatz, ein alter roter Subaru, er ist schon etwas ramponiert, aber es gibt viel Schlimmeres, wie wir kurz danach
erleben. Also alles rein in das kleine Auto, es muss ziemlich gestapelt werden und Omar’s Sohn nimmt auf den Knien von Markus Platz. Nach einem kurzen Tankstellenstopp wo nicht nur Kraftstoff aufgefüllt wird, sondern auch die Scheiben sauber gemacht und die Reifen gefüllt werden, geht es los.
Wir fahren vom Flughafen durch schöne Wohngebiete bis zur Küstenstrasse  hinunter. Es mutet alles sehr nach Mittelmeer an, die Bauweise
erinnert oft daran, aber vor allem auch die Vegetation. Die Böden sind eher sandig, Palmen zieren die Straßen und Gärten. Riesige Hybiskusbüsche blühen in allen Farben, jedoch manchmal mit Blüten 3 oder 4 Mal so gross wie in Europa bekannt. Doch auch Tagetes, Fuchsschwänze und Geranien sieht man (in Brasilien konnten wir ja sogar Schwertlilien und gelbe Taglilien bewundern), irgendwie ist einem vieles Vertraut und doch ist es doch soweit von Europa. Omar fährt mit uns über einen küstennahen Hügel, von dem wir eine schöne Aussicht in Richtung Montevideo haben. Ein Badestrand schliesst sich an den nächsten an.
Dann fahren wir weiter, in Richtung Stadt. Die Gebäude an der Rambla, der Küstenstrasse scheinen aus allen Epochen zu stammen, seit dem hier Menschen siedeln. Aber gehobene Bauten sieht man doch einige. Fast ein Schlösschen ist das Gebäude des Mercosur. Unterwegs liegt einmal ein schrottreifes Auto halb auf dem Dach mitten auf dem Mittelstreifen der breiten Strasse, es scheint niemanden zu stören. Dann biegen wir ab, in einen baumreichen Stadtteil, hier in einem der kleineren Wohnblocks, die wohl etwa auf 1960er Jahre zurückgehen, wohnt Omar und wir haben die Möglichkeit seine Frau Maggy zu begrüssen, auch eine äusserst herzliche Person.
Anschließend setzen wir unseren Weg fort durch verschiedene Quartiere der Stadt. Montevideo ist schön. Wie man oft sagt, eine Stadt mit viel
Patina, ja manchmal findet man Gebäude deren Zustand an Havanna erinnert, dann wieder etwas Modernes mitten drin und immer wieder Bäume, mal kleine Parks usw. An uns fährt auch die ganze Geschichte des Automobils vorbei, nicht nur an Marken und Jahrgängen ganz reich, auch der Zustand der Fahrzeuge ist extremst verschieden und es sind schon welche dabei, die nur Dank Liebe und Draht überhaupt noch zusammen halten, das sie dann aber sogar noch fahren.......!
Natürlich gehört zur Stadtrundfahrt auch ein Abstecher am Hafen entlang, durch die Aguada und zum alten Hauptbahnhof (Estación Central
General Artigas), letzteren werden wir ja am Mittwoch noch eingehend besichtigen können. Anschließend bringt uns Omar zum Hotel Mediterraneo in der Paraguay (-Strasse) und sagt uns wo wir uns am Abend treffen werden.
Wir schreiben uns ein und begeben uns auf’s Zimmer, noch immer in der Hoffnung noch heute unser Gepäck zu bekommen.
Es wird Abend. Ich rufe Marcelo an, wegem Termin am Dienstag.
Anschließend begeben wir uns runter, bestellen ein Taxi und los geht es, denn uns steht ein Treffen mit den Kindern von Omar und Eva bevor.
Der Taxifahrer scheint zuerst etwas verwundert, das Ausländer wissen wo sich das Restaurant La Vaca befindet. Es ist unweit on Omar’s
Zuhause. Es scheint ein besonderer Geheimtip zu sein. Dort angekommen werden wir schon ungeduldig erwartet. Es ist von aussen ein unscheinbares Gebäude in einer Strasse mit Wohnblocks und Einfamilienhäusern, es ist alles schön grün hier. Nach dem Aussteigen erst einmal eine herzliche Begrüssung mit vielen Abrazos. Da sind Maria Teresa, Alicia, Omar und Alejandro und die Tochter von Maria Teresa, Alicia. Sie sind alle sehr nett.
Im Restaurant geht es natürlich um das Thema Aperitif und Essen, wobei das Menü ja sehr schnell bestimmt wird, denn wir hatten ja schon im
voraus über ein „echtes uruguayanisches Essen“ gesprochen, dann kann es nur eine umfangreiche Parrillada sein.
Als wir alle beieinander sitzen, entschuldige ich mich bei der jüngeren Alicia, denn ihr Geburtstagskuchen (ein Biberfladen) ist irgendwo in
Südamerika in meinem Gepäck. Danach erzähle ich vom Aufenthalt von den Eltern Omar und Eva 1996 in der Schweiz, bei mir in Winterthur und wie Eva damals zu ersten mal im Leben Schnee erlebte und sich wie ein Kind darüber freute. Alle waren sehr gerührt darüber, das ich alle Einzelheiten noch wusste und diese sogar so wiedergab, wie dies Eva nach ihrer Reise machte. Alle wussten von Eva’s Sehnsucht nach Schnee, aber auch das Omar glücklich war die öffentlichen Verkehrsmittel auszuprobieren.
Das Essen kam: Was eine richtige Parrillada ist, beginnt mit Fleisch (in diesem Falle einmalig gute, würzige Chorizzo Würste gegrillt und
geschnitten, begleitet von Hühnerfleischstücken, Paprika-Piment Saucen usw.), geht in einen Hauptgang mit Fleisch über der nicht zu enden scheint. Verschiedene Stücke vom Rind und Lamm, alle grilliert, werden aufgetischt, dazu Pommes Frites an zerlaufenem Käse mit Röstzwiebeln darüber (erspart Ketchup, welches wir bislang wirklich nie sahen), aber auch Papa natural, eine in der eigenen Schale pürierte Kartoffel. Noch viele weitere Zutaten werden gereicht. Auch Markus scheint im kulinarischen 7. Himmel zu schweben. Es ist sehr gemütlich und auch lehrreich, man erfährt vieles über diese so nette Familie. Zwischen den Gängen kann man ganz bequem vom Restaurant in den Garten, es ist alles offen, über uns funkeln die Sterne des südlichen Himmels und wir sind alle davon überzeugt, das von da oben Omar und Eva auf uns hinunterschauen und sich über diesen Abend freuen. Denn es war seit 1996 die ganzen Jahre ihres Lebens, das mich Eva in jedem Brief bat, ich möge doch endlich nach Montevideo kommen! Jetzt bin ich angekommen; Eva, estoy aquí!
Zum Kaffee stiess auch noch Maggy, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, zu uns. Natürlich gab es zum Kaffee einige Beilagen, die Auswahl
an Schokokuchen aller Art scheint fast grenzenlos. Ich habe mich aber auf einen frischen Fruchtsalat beschränkt – mit frischen Erdbeeren drin (im Februar hier nicht ungewöhnlich.....).
Wir wurden auch noch reich mit Andenken an Omar und seine Liebe zum Schienenverkehr beschenkt. Es war beschämend, das wir nichts
weiteres hatten. Zudem kam die ganze Familie für dieses Essen auf!! Muchas gracias.
Beeindruckt und glücklich zugleich kehrten wir spät ins Hotel zurück.

AFE – wir reisen damit
AFE heisst nichts anderes als Administración de los Ferrocarriles del Estado (Staatliche Eisenbahnverwaltung) und ist die Staatsbahn von
Uruguay, welche ja unseren Organisationen FLB und AIFFLA in der Schweiz schon von Gesprächsstoff und Kopfzerbrechen lieferte.
Pünktlich auf 8 Uhr sollten wir am Apeadero sein, der neuen Endhaltestelle der Bahn, gut 500 Meter nördlich des Hauptbahnhofes. Diese
Haltestelle mit drei kurzen Geleisen wurde nach einem skandalösen Immobiliendebakel durch die staatliche Hypothekarbank  erstellt, um den alten Hauptbahnhof anderweitig zu nutzen (es passierte nie was – siehe den nächsten Tag). Sogar der Taxifahrer wusste nicht ganz genau wie er zum Apeadero kommt, doch schlussendlich kamen wir vor dem nüchternen kleinen Bau an. Nur wenige Leute waren hier und fast so viele Bahnangestellte. Also hinein. Noch war Marcelo nicht da. Wir besorgten uns aber schon die Fahrkarten nach 25 de Agosto, gute 60 Peso für beide (23 Peso = 1US$) einfache Fahrt, es gibt nur das. Auf den Bahnsteiggeleisen stehen mehrere Kompositionen herum, sie warten wohl fast alle auf die Abendzüge nach Norden, denn es gibt tagsüber nur ein Zugpaar nach 25 de Agosto und zurück. An einigen Orten hängen die Abfahrtszeiten und Zettel weisen daraufhin das der einzige Zug am Sonntag nur 1000 Passagiere (inkl. Stehplätze) aufnehmen könne, alle übrigen Passagiere sollen mit dem Bus fahren! Wie wäre es mehr Züge zu fahren? Hier krankt diese Bahn sehr. Auch soll alles verspätet sein. Nun, wir werden sehen.
Marcelo erscheint und es kommt zu einer herzlichen Begrüssung. Zwei weitere Bahnfans von der Yahoo Gruppe Trenes del Uruguay kommen
auch, es ist Luis Fallá, der schon Bilder an meine Homepage lieferte und Mario Marotti, der sonst in Chile lebt und zur Zeit auf Familienbesuch in Uruguay weilt.
Immerhin, man muss eine Bahnsteigsperre passieren, wobei deren Sinn und Zweck nicht so ganz klar ist, denn sie ist überall offen und die
„Kontrolle“ ist ein Witz.
Wir gehen auf Gleis 3 ganz nach vorne, denn der vorderste der drei Wagen hat ein Gepäckabteil, da bin ich schnell oben und alle kommen
nach. Der Zug besteht aus etwa 40 Jahre alten Fiat-Nahverkehrswagen, die damals neu für die AFE in Argentinien gebaut wurden. Gezogen wird das Ganze von einer etwa gleichaltrigen französischen Alsthom Lokomotive. Marcelo kennt die Zeiten aller Züge auswendig und führt peinlich genau Buch über die Einhaltung dieser Zeiten auf unserer Fahrt. Pünktlich (nicht immer so bei AFE) geht die Fahrt mit lautem Hupen los. Schnell sind wir auf der Strecke. Am ersten Bahnübergang haben sich mehrere Mitglieder von der Trenes del Uruguay Gruppe versammelt, um mich wenigstens für Sekunden zu sehen, ich musste kurz winken. Die Armen mussten heute alle Arbeiten und konnten deshalb nicht an der Fahrt teilnehmen, aber wenigstens die paar Minuten haben sie sich abgetrotzt.
Wir erreichen die Station Dr. Lorenzo Carnelli, die auch noch immer den alten Namen Bella Vista trägt, welcher betrieblich aber nur noch für die
anschliessenden Bahnwerkstätten gilt. Einige Passagiere steigen zu. Die Fahrt geht weiter, an vielen Bahnübergängen bimmeln schon die neuen Glocken der neuen automatischen Bahnschranken, die zur Zeit an 75 Übergängen installiert werden. Die neue Schrankenfarbe ist nun schwarz/weiss statt schwarz/gelb.
Die Station Yatay folgt. Hier lege ich geistig eine Gedenkminute ein. Denn erst am Vorabend erfuhr ich, das Omar und Eva sich bei ihrem Tod
einäschern liessen und ihre Asche über die zwei Geleise der Station Yatay verstreut werden musste. Sie verboten jeden Grabstein oder das Ablegen von Blumen. Man solle sich bei Bahnfahrten an sie erinnern. Eva teilte Omar’s Einsatz für den Schienenverkehr so sehr, das auch für sie nur die Geleise von Yatay in Frage kamen. Diese Station lag ihrem Haus am nächsten. Mir kamen die Tränen! Nicht zum ersten Mal übermannten mich meine Gefühle auf dieser Reise.
Flott ging es weiter nach Sayago, Colón, in Abayubá vorbei, Halte an kleinsten Haltestellen, jedoch füllte sich der Zug zusehends, in
Montevideo stiegen ja nur ganz wenige ein. Interessant war, wie der „Cobrador“ (Fahrkartenverkäufer) umherging. In einer Hand die kleine Metalldose mit den Papierabschnitten, die als Fahrkarten ausgegeben werden. In der Hosentasche die Münzen und in der anderen Hand, so durch die Finger gezogen, die vielen Geldscheine, längs gefaltet und nach Werten (von 20 bis 1000 Pesos // also knapp 1 bis rund 40 US$) sortiert. Wie ich erfuhr, wird dies allgemein gemacht, bei Fahrkartenverkäufern von Bahn und Bus und es seien eigentlich keine Diebstähle bekannt. Uruguay ist einfach ein Stück sicherer, als andere Länder in der Region.
Der Bahnhof La Paz ist nur noch ein Schrankenposten mit Zughalt. In Las Piedras und Progreso ist viel los und in Las Piedras werden 9
Bahnübergänge vom Stellwerk und verschiedenen Posten aus bedient und ein 10. ist für eine neue Strasse im Bau! 
Hier verlassen wir die eigentlichen Vororte von Montevideo. Nun ja, wir sind ja schon lange im Departamento Canelones. Doch schon seit
Colón fährt der Zug oft durch’s Grüne. Jetzt wird die Landwirtschaft immer reichhaltiger. Grosse Niederstamm Obstplantagen wechseln sich mit bereits blau leuchtenden Trauben ab. Das Land ist sehr fruchtbar, wie ganz Uruguay. Es gab zwar wieder eine Dürre diesen Sommer und man sieht da und dort verbrannte Parzellen. Die Feuerwehr muss aber sehr schnell gewesen sein, keine verbrannten Häuser und manchmal ist sogar ein Teil der Bäume bereits wieder am austreiben. Es sind alles Eukalyptus Wäldchen, welche sich entzündeten, dies kann bei Überhitzung vorkommen, da sich im Holz dieser Bäume ein relativ leicht entzündliches ätherisches Öl (Eukalyptusöl) befindet. Sie sind nicht heimisch von hier, sondern wurden vor 40-50 Jahr-en von der Regierung in riesigen Mengen importiert, um grosse ungenutzte Flächen im ganzen Land zu Wäldern zu machen. Heute müssen die Bäume alle gefällt werden, da sie reif sind und danach verdorren werden.
Doch nicht nur Ost kommt von hier. Wild wuchern dunkelblaue und rosarote Trichterwinden (Ipomöe) an allen möglichen Orten und die
Blütengrössen sind beachtlich. Kein Wunder, stammt diese Pflanze doch aus den südlichen Bundesstaaten Brasiliens, wo es sogar eine Gemeinde namens Ipomeia gibt.
Auf kleinen und kleinsten Parzellen sieht man Gemüse gedeihen, Melonen, Salat, Bohnen, Auberginen (Eierfrüchte) und Toma-ten sind zu
entdecken. Es ist kein Land der Latifundien (Grossflächenlandwirtschaft), verglichen mit Argentinien, Brasilien und USA nehmen sich die Haciendas Uruguay’s mit 300, 400 oder 500 ha klein aus und es gibt nur relativ wenige davon, weit im Norden, wo eh nur sehr wenige Leute leben. Hier bestehen die Milchkuhherden manchmal nur aus 4 oder 5 Stück, Pferde sieht man manchmal, kein Wunder, denn selbst mitten in Montevideo sieht man Fuhrwerke mit Pferden oder Eseln, in der Regel Recyclingprodukte abführen.
Wir haben schon Juanicó verlassen, es waren doch einige zu- und aussteigende Personen zu registrieren. Hier liegen noch alle Geleise,
aber die Weichen sind ausgebaut. Wir kommen in Canelones an. Ein Inselbahnhof, nicht sehr typisch für Uruguay, ausser bei Abzweigstationen. Auf beiden Seiten des Gebäudes liegen Durchgangsgeleise. Dies ist auch die Hauptstadt des gleichnamigen Departamentos, ein überschaubarer Ort. Nach kurzem Halt, wieder mit regem Passagierwechsel, geht es weiter zur Innerortshaltestelle Calle Rodó (Rodó Strasse). Der Halt besteht schon lange, doch erst in den 1970er Jahren wurde die (hand-)bedienung aller drei Bahnschranken zusammengelegt und eine richtige Haltestelle mit hohem Bahnsteig, Räumlichkeiten und beieinander stehender Schrankenkurbeln erbaut.
Nun tauchen wir noch mehr ins leere Land hinein. Die intensiv bewirtschafteten Flächen nehmen ab. Die Station Margat liegt ganz verlassen da,
doch auch hier Passagiere. Nur die danach folgende Haltestelle 19 de Diciembre (19. Dezember) wird ohne Halt durchfahren, obwohl doch hier einige wenige Höfe stehen.
Nach einer Brücke und einer Kurve erreichen wir Santa Lucia, ein Städtchen. Hier steigen viele aus, auch der eine Verkäufer von Backwaren.
Ja, dank der tiefen Bahnfahrpreise schicken die Bäckereien Jugendliche mit kistenweise Backwaren, die sie teilweise an Läden liefern, teilweise in anderen Orten direkt verkaufen. Auf eine gut Gefüllte Plastikkiste rechnet sich der Fahrpreis auf wenige Centavos je Stück. Die Sache scheint auch bestens zu laufen.
Der Zug hat 3 Minuten Verspätung, obwohl unterwegs oft viel los war. Die stellenweise möglichen 105 km/h und die sonst üblichen 80-90 km/h
wurden voll ausgefahren. Mit lautem Hupen verlassen wir Santa Lucia.
Nach einer kurzen Fahrt überqueren wir den Rio Santa Lucia auf einer langen Stahlbrücke. Kurz dahinter kommen wir im Bahnhof 25 de Agosto an. 25. August ist auch der Nationalfeiertag von Uruguay. Doch oft haben hier die Orte Daten statt Namen, da dies die Gründungstage entweder der Orte selber oder der Gemeinden ist.
Der Zug kommt am 1. Gleis zu stehen. Alles steigt aus und es wird alles entladen. Markus hat die Möglichkeit, begleitet von Mario das Stellwerk zu besichtigen und Fotos zu machen. Es ist noch voll in Betrieb, da sich hier Hauptstrecke nach Florida von jener nach San José (beide Destinationen noch werktags mit je einem Personenzug) trennt. Die Lok ist ans südliche Ende des Zuges unterwegs. Marcelo strahlt, 2,5 Min. Verspätung (anstelle der üblichen, 15, 20, 30, 45 Min. ..........).
Pünktlich verlassen wir 25 de Agosto auch wieder und in flotter Fahrt streben wir Montevideo zu, wobei tatsächlich, wegen aufgelaufener
Verspätungsminuten, die 105 km/h Grenze einige Male kurz erreicht wurde. Zur Mittagszeit verliessen wir den Zug bereits in Dr. Lorenzo Carnelli.
Nach einem kurzen Fussweg kamen wir zum Eingang der Werkstätten von Bella Vista, wo auch die bereits über 50 Jahre aktive AUAR
(Asociación Uruguaya Amigos del Riel / Eisenbahnfreundeverein von Uruguay) ihren Sitz hat. In den Werkhallen stehen Dampfloks, betriebsbereit ist die Nummer 120, andere werden noch einiges an Arbeit geben. AFE stellt hier auch ihre zwei Schienenbusse (einer davon im Einsatz) ab, wir sehen auch Teile herumstehen, die für den Schienenbus von Urutren bestimmt sind, so eine Türe, noch in originalem DB Rot. Auch alte Personenwagen sind zu finden. Dampflok 120 wird soeben vom letzten Einsatz sauber gemacht und für den nächsten Einsatz vorbereitet, sie wird doch recht oft gebraucht.
Wir werden in den Aufenthaltsraum geführt. Hier findet eine sehr herzliche Begrüssung durch Teresita, Marcelos Mutter, sowie verschiedenen
Vertretern der AUAR statt. In der Ecke brutzelt ein kräftiges Feuer und es werden Salate, Brot und Getränke aufgetischt. Natürlich will man von mir einige Worte hören, die ich auch gerne wiedergebe. Ich überbringe die besten Grüsse von FLB und AIFFLA, so wie all derer, die hier auch schon Gäste sein durften. In einigen Worten gedenke ich auch Omar und Eva, denn sie waren ja beide über 40 Jahre immer für die AUAR da. Worte die auch hier sehr geschätzt wurden.
Nun sassen wir wieder bei einer leckeren Parillada und die Würste und Fleischstücke schienen noch besser zu schmecken.
Und wie dies so ist bei einem solchen Festessen, plötzlich musste Marcelo zum Aufbrechen mahnen, denn draussen vor der Werkstätte stand
der Brill Triebwagen zur Abfahrt nach Montevideo bereit. Natürlich musste jedoch noch ein Foto von uns allen gemacht werden und das ich eine Spende in die Vereinskasse gab, war ja ganz klar.
Dann stiegen wir in das urtümliche Gefährt ein. Die Triebwagen der Marke Brill (USA) wurden 1936 neu aus den USA in grosser Stückzahl
nach Uruguay geliefert. Zur Zeit ist einer in täglichem Einsatz, drei weitere warten in den Werkstätten von Peñarol auf zum Teil lächerlich kleine Reparaturen, doch der Direktor der Staatsbahn will nichts machen, da ihm die Fahrzeuge offenbar nicht gefallen. Diese Triebwagen haben nur einen Führerstand und müssen deshalb am Ende jeder Fahrt gedreht werden. Da aber die neue Endstation von Montevideo, weder ein Wendedreieck, noch eine Drehscheibe hat, muss der Triebwagen immer die extra Kilometer bis/ab Carnelli fahren. Wir haben nun die Möglichkeit kostenlos diese Fahrt, ganz langsam mit zu machen. Das Fahrzeug ist topsauber innendrin! Trotzdem geht ein Angestellter noch einmal mit dem Besen durch.
Pünktlich geht die Fahrt mit einem Pfiff und einem Ruck los.
Wieder fahren wir über Dr. Lorenzo Carnelli, Yatay und Sayago, doch hier zweigen wir nach Osten ab. Bei Peñarol fahren wir dem
ausgedehnten Gelände der Werkstätten der AFE entlang und halten dann im Bahnhof Peñarol, auch hier füllt sich der Triebwagen immer mehr.
Recht flott geht die Fahrt weiter. Vereinzelt wird an Bahnübergängen gehalten, dies nicht weil die Schranken nicht  unten wären
(uruguayanische Schrankenwärter verrichten ihre Arbeit auch sehr gewissenhaft!) sondern weil einige der Bahnübergänge Haltestellen sind, zwar nicht mit Namen, sondern Kilómetro XX.XX heissen. Unterwegs kommt sogar ein Verkäufer für Getränke, Snacks und allerlei Krimskrams durch den Wagen, seine Getränkepreise sind sehr tief – wovon der denn lebt?
Manga ist ein weiterer Halt, gefolgt vom Abzweigbahnhof Toledo (von hier geht eine rund 400 km lange Strecke durch die Reisanbaugebiete
von Treinta y Tres und Vergara bis Rio Branco an der brasilianischen Grenze, es gibt noch Güterverkehr). In einem Vorort von Toledo soll es oft Steinwürfe von Kindern gegen den Zug geben, deshalb sind ja alle Fenster vergittert, doch es bleibt ruhig. Manchmal schlagen die langen Zuckerrohre gegen den Wagen, oder sonstige Pflanzen.
Bald befinden wir uns in Pando, doch auch die Stationen Suárez und Olmos werden bedient und fast auf die Minute genau kommen wir am
südlichen Bahnsteig von Victor Sudriers zu stehen. Einst gingen von diesem Gleis Züge weiter über La Floresta, Parque del Plata, Atlántida, Pan de Azúcar nach Punta del Este, San Carlos, Rocha und La Paloma, doch seit gut 10 Jahren bewegt sich auf dieser landschaftlich reizvollen Strecke gar nichts mehr. Am nördlichen Bahnsteig fahren immer noch die Klinkerzüge aus Verdum nach Montevideo Kilómetro 7 (Zementfabrik) einige Male am Tag vorbei. Es kommt auch manchmal zu Extrazügen nach Minas für die Öffentlichkeit.
Alle sind ausgestiegen, nur ich bleibe im Wagen drin. Er wird ganz langsam in Richtung Werkstätte gefahren und hinter einem alten Schuppen
schleicht er sehr vorsichtig auf die Drehscheibe. Auf diese muss der Triebwagen sorgfältigst gefahren werden, denn sie passt auf den Zentimeter genau, etwas weiter und er könnte nicht gedreht werden. Langsam dreht sich nun die Scheibe um 180° bis sie wieder einrastet und das Fahrzeug wieder zum Bahnsteig rollt. Recht pünktlich geht die Fahrt wieder in Richtung Montevideo los. Unterwegs kreuzen wir den zweiten „Abendzug“ aus Montevideo, es ist der einzige zur Zeit im Einsatz stehende ex-DB (Deutschland) Uerdinger Schienenbus. Die Fahrt endet problemlos in der Endstation von Montevideo und wir verabschieden uns von den Mitreisenden.

Estamos trabajando (Wir arbeiten)
Mittwoch; der Besuch des altehrwürdigen Hauptbahnhofes Estación Central „General G. Artigas“ von Montevideo steht an. Ein hochpolitischer
Besuch. Vor vielen Jahren verkaufte die Staatsbahn AFE diesen Bahnhof der staatlichen Hypothekarbank BHU, um Bargeld in die Kassen zu bekommen. Dafür wurde dann die kleine Endstation bei der Torre Antel (dem Telekomm Turm von Montevideo) 500 m nördlich gebaut. Unter dem Namen „Plan Fenix“ wollte die BHU das ganze Gebiet des Hauptbahnhofes umbauen und komplett zweckentfremden. Hinterher kam aus, dass dieser Handel null und nichtig ist, denn der Bahnhof ist als historisches Monument eingestuft und kann weder abgebrochen, noch zweckentfremdet werden. Seit 5 Jahren ist er jedoch leer und ohne Bahnverkehr und sogar die Bahndirektion, welche früher hier ihre Büros hatte, muss nun an verschiedenen Orten in der Stadt für 144'000 Dollar (!) im Jahr Büros mieten. Deshalb hat sich ein Fahrgastverband gebildet (Grupo de Pasajeros en Defensa de la Estación Central), mit dem Hintergrund mittels Eingaben, Unterschriftensammlungen und viel Presse auf die Regierung und die Bahn soviel Druck auszuüben, das der Bahnhof saniert und wieder als solcher ans Bahnnetz angehängt wird. Die neue Endstation ist mit dem öffentlichen Verkehr der Stadt nicht zu erreichen, selbst Taxifahrer wissen nicht immer genau wo diese liegt, der alte Hauptbahnhof hingegen wird nach wie vor von einer sehr großen Anzahl Buslinien angefahren!
Marcelo musste schon einige Zeit zuvor die Bewilligung einholen, damit wir in den Bahnhof gelangen können, was auch alles klappte. Gegen
12 Uhr kamen immer mehr und mehr Personen an, von der Gruppe Trenes del Uruguay, von der Genossenschaft Urutren, von der Presse und dem Fahrgastverband. Dabei war sogar ein Minister und der Journalist des Staatspräsidenten, wie es sich hinterher erst zeigte. Durch einen Seiteneingang, wo die beiden Wachleute des Service 222 (offizieller Zusatzjob für staatliche Polizisten!) gelangten wir nun alle in das Innere des Bahnhofes. Ein riesiger, repräsentativer Bau in den 1880er Jahren durch den italienischen Architekten Luis Andreoni erbaut. Die Geleise liegen noch, unter Müll und Sand. Die Bahnhofshalle weist Löcher auf, viele Türen und Fenster fehlen. In der dunklen Schalterhalle trat Markus auf etwas weiches, eine tote Ratte. Es stink nach Urin usw. Es kommt vor, das Obdachlose in den zahlreichen Räumen hausen. Man sieht aber noch viele Spuren von früher, wo einst das beste Restaurant der Stadt war, es gab auch Läden im Bahnhof, beim Ausgang steht noch immer eine Tafel, die früher die Ankunftszeiten der Züge anzeigte, die Bahnsteigsperre ist noch teilweise vorhanden. Ganz vorne sind auch noch die Dächer der nach Norden verlängerten Bahnsteige vorhanden, schön verziert. Das Gleisfeld selber ist eingezäunt, da es zur Zeit der Hafenverwaltung untersteht, welche die westlichsten Geleise entlang der Rambla (schon früher Güter- und Abstellgeleise) wieder herrichtet, um Güterzüge hier in Hafennähe und nicht viele Kilometer im Landesinnern abzustellen.
Nach diesem ausführlichen Besuch, bei dem auch die Presse, entgegen ursprünglicher Vorstellungen der Staatsbahn, fleissig fotografierte,
ging es wieder hinaus auf die Strasse, wo soeben etwas Regen eingesetzt hatte. Hier wurde ich nun intensiv interviewt, über die Bahnen allgemein, über die AFE, den Hauptbahnhof, die Zukunft des öffentlichen Verkehrs in Uruguay, die Arbeit von AIFFLA, FLB und und... . Die Berichte kamen auch prompt noch am selben Tag und in den Folgetagen in den Zeitungen des ganzen Landes (El Diario; La Republica usw.) sowohl gedruckt als auch Online. Wer Interesse hat, kann diese bald bei www.aiffla.com einsehen, aber alle nur in spanischer Sprache. Ich wurde plötzlich zu einer bekannten Person in Uruguay und es lasten viele Hoffnungen auf mir. Selbst beim nachfolgenden Nachmittagskaffee in einem nahen Restaurant und noch danach gingen die Befragungen weiter und ich werde von zu Hause aus noch weiter arbeiten, denn bald sind Wahlen in Uruguay, die es zu nutzen gilt. So endeten arbeitsreiche Stunden.
Nach unserer Rückkehr ins Hotel, fuhren wir sofort mit dem Taxi weiter zum Busterminal Tres Cruzes. Mit einem der Nach-mittagsbusse ging
die Reise in etwa 90 Min. nach Piriápolis, einem wirklich schönen und beliebten Urlaubsort am Strand, nicht mehr sehr weit von Punta del Este, im Departamento Maldonado.   Hier konnten endlich die Ferien beginnen! 

Uruguay – Argentinien
In Piriápolis angekommen, fanden wir unser Hotel, knappe 10 Gehminuten vom Busbahnhof entfernt, recht schnell. Das Hotel Rex ist wohl das himmelblaueste Gebäude im Ort. Es hat schon einige Jahrzehnte „auf dem Buckel“ doch ist bestens unterhalten. Das fast ausschliesslich weibliche Personal ist sehr freundlich und einige sprechen auch einige Brocken Französisch, Brasilianisch oder Englisch, sogar Italienisch könnte man sich noch verständigen. Deutsch ist hier schon ziemlich „exotisch“.
Wir bekommen ein recht grosszügiges Zimmer mit Badezimmer. Die Badezimmertüre ausgehängt und Kühlschrank beiseite gerückt und schon komme ich überall durch.
In Piriápolis gehören Fischspezialitäten einfach auf den Tisch, mit Knoblauch gebratener Fisch, Krabben in einer Kräuter-Sahne-Sauce und
andere Herrlichkeiten geniessen wir diese Tage. Als Salat gibt es herrliche, aromatische Tomaten, einfach in Schnitze geschnitten mit Balsamico und Olivenöl und etwas Salz angemacht. Sehr erfrischend. Natürlich gibt es auch mal Eis, es stehen einige gute Eiskaffees zur Verfügung. Kuchen bekommt man auch, wobei in Uruguay alle Arten von Schokoladekuchen zuoberst auf der Beliebtenliste stehen. Schokobuttertorte, Schokotorte im Mürbeteigboden usw., alle sehr gehaltvoll und süss. Immerhin, Kaffee kommt stets vom nördlichen Nachbarn Brasilien und Uruguay hat sehr gutes Mineralwasser.
Am ersten Abend kommen wir bei einem Spaziergang in die Feria de las Artes, einem Künstlermarkt, bei welchem nicht nur alles Erdenkliche
verkauft wird. Ein junges Brüderpaar macht beste Latinomusik im Stil der La Plata Gegend und sie reissen alle zum klatschen mit, auch uns. Es wird schon am ersten Abend spät.
Die nächsten zwei Tage bringen auch etwas Strandleben mit, es gibt Rampen auf den recht harten Sand des Strandes runter! So kann ich mit dem Rollstuhl bis nahe ans Wasser und danach selber in dasselbe. Das Wasser ist recht trübe, kein Wunder, denn hier mischen sich die Gewässer des Rio de la Plata, welche von den großen Flüssen Paraná, Paraguay und Uruguay, aber auch kleineren wie dem Miguelete aus Argentinien und dem Santa Lucía aus Uruguay gespiesen werden, mit den Gewäs-sern des Atlantik. Das Wasser hat aber angenehme 24°C, die Luft einiges über 30°C, da aber ein leichter Wind geht, empfindet man es nicht so heiss. Der Badebetrieb ist stets rege aber der lange Strand nicht überlaufen, alle Generationen treffen sich hier. Draussen drehen Motorboote ihre Runden, angehängt sind Gummiboote und es scheint den Leuten einen großen Spass zu machen in engen Kurven aus den Gummibooten gekippt zu werden und dann wieder in diese einzusteigen.
Einmal besuchen wir das örtliche Eisenbahnmuseum. In Uruguay weiss man noch um den historischen Wert der Bahn. Piriápolis war lange Zeit
über eine 60 cm Schmalspurbahn, die am Cerro (Berg) Pan de Azúcar unterwegs auch einen Steinbruch bediente, erreichbar. Im Bahnhof Pan de Azúcar (hinter dem Berg von Piriápolis aus gesehen) hatte die Kleinbahn Anschluss an die AFE Strecke Montevideo – Rocha. In einem Buch über die Entstehung von Piriápolis finden wir auch die Geschichte der kleinen Bahn. Wir können auch den Ort des ehemaligen Bahnhofes am alten Hafen der Stadt ausmachen, auch wenn gar nichts mehr daran erinnert.
Viel zu schnell geht die Zeit in Piriápolis vorbei. Mit einer Verantwortlichen des Hotels diskutiere ich die Möglichkeiten, wie das Zimmer noch
etwas besser rollstuhlgängig gemacht werden kann, besonders das Fehlen eines Duschsitzes wollen sie sofort beheben, ich bekam zwei ineinander gestellte Plastikstühle in die Dusche, dies sei sicherer, als nur einer! Auch wollen sie die beiden Holzrampen an den Eingängen (vorne mit 3 Stufen, hinten mit nur einer Stufe) beibehalten und ich empfahl ihnen dies auch auf der Homepage des Hotels aufzuführen, was sie auch nachholen wollen. Da ihr Hotel noch unter den alten Gesetzen gebaut wurde, sind diese Anpassungen nicht zwingend, in Uruguay besteht ein Gesetz für behindertengerechtes Bauen seit 1954! In den anderen bereisten Ländern wurden solche Gesetze spätestens in den 1990ern eingeführt.
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Rollstuhlgängigkeit:
In vielen Dingen hilft die Hilfsbereitschaft der Menschen, wenn irgendwo bauliche Barrieren sind.
In Campinas scheint bereits über die Hälfte der Stadtbusse über Hebebühnen zu verfügen, die Busse tragen das Rollstuhlsymbol. Sehr viele
öffentliche Gebäude haben nebst den Treppen, zusätzliche Rampen oder Rufknöpfe, Die manchmal recht hohen Gehwege an den Straßen haben oft, aber nicht immer, Rampen bei den Strassenkreuzungen. Wer auf dem Hosenboden einen Bus erzwingen kann, reist auch im Busfernverkehr gut, die Plätze 3 und 4 (vorderste Reihe) werden bis kurz vor Abfahrt für Behinderte, Schwangere und Altersgebrechliche reserviert. Die Museumsbahn Campinas – Jaguariúna hat einen Wagen mit Rollstuhlstellplatz, der auch über wesentlich verbreiterte Zugänge verfügt, nur die drei Stufen vom Bahnsteig zur Wagenbodenhöhe müssen überwunden werden. Das Personal steht zur Verfügung. Nach Auskunft des Personals sollen fast alle Museumsbahnen diesen Dienst anbieten, da er vorgeschrieben ist.
In Uruguay ist der städtische Busverkehr noch nicht soweit. Es verkehren alte, oft schon sehr klapprige Busse. Im Erneuerungsprogramm des Staates für 2009 bis 2012 ist die Auswechslung fast aller Stadtbusse im Land vorgesehen, alle sollen Hebebühnen bekommen. Erste Fahrzeuge sollen in Montevideo schon im Einsatz sein. Mit der Bahn ist das altbekannte „Packwagenabteilreisen“ in Uruguay bis auf weiteres üblich. Der Einstieg ist zwar hoch, aber bei genug Personal nicht so problematisch, ausser man will nach/ab 18 de Mayo, Viale und andere Haltestellen fahren.... Der Brill Triebwagen verfügt über Stellfläche, der Zugang dorthin ist jedoch nur auf dem Hosenboden zu bewältigen. Im Fernbus-verkehr sind auch die Plätze 3 und 4 reserviert (siehe Brasilien), aber auch hier, zuerst mal erklimmen. Die Busterminals sind alle zugänglich.

Der Buquebus (Schnellfähre) ist rollstuhlgängig, hat grosse Toiletten und Lift im Innern.
In Argentinien kann man problemlos die Stadtbusse benützen, sofern sie nicht überfüllt sind, sicher 80% aller Fahrzeuge haben Hebebühnen. Die U-Bahn Subte bekommt zur Zeit an vielen Stationen Lifte, einige haben auch Rolltreppen, doch man sieht es in Lateinamerika nicht gerne, wenn Rollstuhlfahrer die Rolltreppen benützen. Praktisch an allen Strassenübergängen sind Rampen vorhanden und öffentliche Gebäude haben auch welche. Die Vorortsbahnen haben durchweg sehr hohe Bahnsteige und Züge mit ebenen Einstiegen, Rampen führen zu den Hoch-bahnsteigen, doch auch hier kann die Überfüllung der Züge zu einem Problem für Behinderte werden. Die sehr wenigen Fernzüge in Argentinien sind nur sehr beschränkt erreichbar, auf dem Hosenboden die recht grosszügigen aber relativ langen Treppen in den Wagen hinein, dann aber mit dem Rollstuhl bis zum Sitz ist noch möglich, speziell in der Pullman Klasse (und der Superpullman Klasse nach Mar del Plata – sofern der Marplatense verkehrt). Die WC Schüssel lässt sich mit wenig oder ohne Hilfe erreichen, man kann nur die Türe nicht schliessen, wenn man alleine reist. In Rosario ist die Zahl der rollstuhlgängigen Busse schon sehr stark eingeschränkt. Doch Gehwegabschrägungen und Zugänge zu öffentlichen Gebäuden sind weitgehend vorhanden. Die doppelstöckigen Fernverkehrsbusse sind recht grosszügig und es sollte möglich sein, mit Hilfe zum ersten Sitz in der unteren Ebene zu gelangen, der Platz wird jedoch nicht speziell frei gehalten.
In Chile sind die Bahnsteige nur in den S-Bahnbereichen recht hoch. Bei Metrotren ist aber immer noch eine hohe Stufe zu überwinden. Bei Merval ist der Einstieg eben und vorbildlich. Bei den Fernzügen sind bei Hochbahnsteigen immer noch zwei hohe Stufen zu überwinden, im Innern sind die Wagen gut rollstuhlgängig. Auch in Chile sind in den meisten Orten die Gehwege an den Kreuzungen abgeschrägt.

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Sonntag. Noch vor dem Frühstück verlassen wir das Hotel und begeben uns zum Busterminal. Hier bekommt man auch so früh schon etwas zu essen. Heute fahren wir mit dem Bus nach Montevideo zurück. Während wir nach Piriápolis mit der Busgesell-schaft COPSA fuhren, müssen wir auf dem Rückweg die Gesellschaft COT nehmen. Sie nimmt auch Stehpassagiere auf, ist auch nicht so pünktlich und so fahren wir von Haltestelle zu Haltestelle, die sich wirklich manchmal im „Nichts“ befinden, für einen Passagier macht sie auch noch einen ziemlichen Umweg über den Flughafen. Mit etwas Verspätung erreichen wir wieder den Busterminal Tres Cruces. Nicht lange gesucht und wir finden sogar ein Taxi mit dem Aufkleber Buquebus und flott geht die Fahrt, durch die noch nicht so wache Stadt Montevideo.
Am Hafen angekommen, welch Überraschung, fast alle Mitglieder der Familie Gil haben sich am Hafen eingefunden, um uns von Uruguay zu verabschieden. Nach dem Check-in, sitzen wir alle noch einmal bei einem Kaffee, die einen auch bei einem Mate-Tee, zusammen, es fällt allen sichtlich schwer Abschied zu nehmen und natürlich sind meine Interviews auch ein Thema, alle haben sie gelesen, es scheint, als ob alle sämtliche Tageszeitungen haben. Ich würde die Tradition des Vaters Omar Gil Soja fortführen im Kampf für den Bahnverkehr in Uruguay, musste ich hören.
Die Abfahrtszeit rückt näher, sichtlich bewegt nehmen wir voneinander Abschied.
Schnell müssen wir auf die Schnellfähre, die hier Buquebus genannt wird. Im oberen Stockwerk angekommen, werden wird mit einem Glas Sekt begrüsst, wir reisen 1. Klasse. Länger als vorgesehen laufen unten die Ladearbeiten, denn es werden auch viele Autos eingeladen und wenn man die Massen argentinischer Autos an der Küste gesehen hat, kann man sich vorstellen, das da ein reger Rückreiseverkehr stattfindet. Mit einiger Verspätung verlässt das Boot aber Montevideo und fährt beachtlich schnell über den Rio de la Plata, Montevideo verschwindet bald am Horizont. Der Hochseeschiffverkehr ist beachtlich. Im Laufe des Nachmittags erscheinen die Schlote und dann die Hochhäuser von Buenos Aires am Horizont. Bald läuft der Buquebus in den Hafen von Buenos Aires ein und verlassen die klimatisierte Fähre. Neue Zollkontrolle mit neuen Stempeln im Pass und wir sind in Argentinien. Die Suche für ein Taxi gestaltet sich anfangs etwas schwierig, bis dann sogar andere Passagiere am Taxi-stand uns ein etwas grösseres Fahrzeug überlassen. Gegenüber ist gerade eine Strassenbahn der neuen Linie zum Puerto Madero durchgefahren (die Linie sieht aber schon wieder recht alt und auch relativ provisorisch aus). Über die (Avendida) 9 de Julio (9. Juli = Nationalfeiertag) erreichen wir unser Hotel in der Hypolito Irigoyen 1592.
Nach einer Pause machen wir uns auf und erkunden die Umgebung und finden auch ein gutes Restaurant, fast leer obwohl Fussball an den Bildschirmen läuft, was doch eigentlich die Argentinier in Scharen in ein solches Lokal locken sollte. Gut, wir sind um etwas nach 19 Uhr eben früh mit dem Nachtessen dran. Wie immer gibt es reichlich, selbst wenn die Preise in Buenos Aires etwas über jenen in Uruguay liegen. Auf dem Rückweg ins Hotel legen wir noch einen Kaffeehalt in einem Strassenkaffee ein. Egal wie spät es ist, der Verkehr brandet ungebremst durch die Straßen, wobei die schwarz/gelben Taxis und die Linien-busse die Hälfte aller Fahrzeuge ausmachen. Übrigens sind die Taxis in Agentinien, Uruguay und Chile weitgehend schwarz/ gelb – und das Vorurteil, es würden nur geschätzte Tarife verlangt, oder viel zu viel, muss gründlich revidiert werden. In der Regel geben die Taxameter den Preis auf den Centavo (Rappen/Cent) an, in Uruguay werden Punkte angegeben, anhand der Punkte wird die Taxe nach einer festen Liste erhoben, wobei die Taxis in Uruguay mit Abstand am billigsten sind, man fährt für 3 bis 4 Dollar spielend 8 oder 9 km weit.
Nach unserer ersten Nacht in Argentinien heisst es rechtzeitig nach dem Frühstück ein Taxi rufen und die Fahrt geht zum Retiro Bahnhof. Zum Glück war ich etwas skeptisch mit der Fahrzeit und rechnete genug Zeit ein. Zu Beginn ging die Fahrt noch flott von der Plaza de Mayo (der berühmte Platz der Mütter der Plaza de Mayo) nach Nordosten doch je mehr wir in den Bereich Retiro kommen, desto mehr sind die Straßen verstopft, auf 4 Fahrspuren drängeln sich bis zu 6 oder 7 Fahrzeuge nebeneinander. Busse entlassen ihre Fahrgäste mitten auf der Strasse, Taxis und private Autos quetschen sich auf jedem Zentimeter. Doch wir schaffen es und erreichen den grössten der drei Retiro Bahnhöfe. Das es drei Kopfbahnhöfe nebeneinander gibt, ist den verschiedenen Bahngesellschaften, die ursprünglich die Bahnen in Argentinien bauten, zu verdanken. Von der Ramos Mejía Strasse (welche den drei Bahnhöfen entlang führt) aus gesehen kommt zuerst der grösste Bahnhof, der noch heute den Namen Retiro Mitre trägt. Von hier führen breitspurige (Spurweite 1675 mm) S-Bahnlinien nach Norden, z.B. Bartolomé Mitre, Tigre usw., sowie die Fernstrecken nach Rosario, Córdoba und Tucumán. Dann folgt der Retiro Belgrano Bahnhof mit Meterspurgeleisen, immer noch ein ansprechendes grosses Gebäude, hier fährt die S-Bahn nach Villa Rosa mit ihren roten Zügen von Ferrovías ab, weiter nördlich gibt es auf der Belgrano Bahn aber nur noch Güterverkehr. Zuletzt folgt der wiederum breitspurige Retiro San Martin Bahnhof, der jedoch nur mehr einer Ansammlung von Baracken entspricht, von wo aus die Haupt-strecke in den Westen, nach Mendoza, führt, Personenzüge gibt es aber nur noch von der wieder verstaatlichten UGOFE San Martin bis Pilar und von Ferrobaires, der Fernbahn der Provinz Buenos Aires, nach Junín und Alberdí.
Wir kommen in die grosse Halle des Mitre Bahnhofes. Heute eigentlich nur eine riesige Anzahl an Verkaufsständen und Kiosken aller Art beherbergend, selbst die S-Bahnen haben keine Schalter mehr, lange Schlangen stehen an den wenigen Fahrkartenautomaten. Ganz hinten links finden wir zuletzt auch den Schalter von FerroCentral. FerroCentral ist ein Wortspiel. Da die beteiligten Provinzen nicht genug Geld hatten, um die überlebenswichtigen Verbindungen von Buenos Aires nach Córdoba und Tucumán zu betreiben, wurde auf Anweisungen des Staates diese Gesellschaft gegründet, wobei deren Verwaltung aus der S-Bahn FERROvías und dem Güterbahnunternehmen Nuevo CENTRAL Argentino, deren Strecken befahren werden, entstand. Eigentlich verfügt FerroCentral über viele gebraucht aus Portugal und Spanien erworbene Personenwagen und Loks, doch davon wird nur ein kleiner Bruchteil für den Lokalzug Villa Maria – Córdoba gebraucht, das übrige Rollmaterial, so auch unser Zug, stammt alles noch von Ferrocarriles Argentinos und ist Eigentum der bedienten Provinzen Santa Fé, Santiago del Estero, Tucumán und Córdoba. Es war einer der (bösen) „Streiche“ des damaligen Staatspräsidenten Menem, welcher per Dekret am 10.03. 1993 jeglichen Personenfernverkehr auf der Schiene verbot (wegem angeblichen Defizit – welches dann doch nicht so hoch war wie von ihm mittels gefälschter Zahlen demonstriert). Als Abgeltung bekamen die Provinzen Eisenbahnfahrzeuge aus den Beständen der aufgelösten Staatsbahn. Heute müssen mehr und mehr Strecken rückverstaatlicht werden, da die Konzessionäre ihre Pflichten schlecht oder gar nicht erfüllen.
Alles klappt wunderbar. Die Freunde aus Rosario haben uns schon einige Zeit im voraus die Plätze reserviert und bezahlt, denn es gibt den Tucumano nur zweimal in der Woche und nur einmal davon bei Tag. Mit Nennung der Reservationsnummern erhalte ich unsere Fahrkarten ausgedruckt. Die Fahrt über 310 km kostet einfach in der teuersten Klasse (Pullman) etwas über 11 US$ pro Person. Die Schlange der Passagiere für die Turisten Klasse (2. Klasse) ist gewaltig und zieht sich durch die ganze Bahnhofshalle, alle mit sehr reichlich Gepäck.
Die Fernzüge fahren nicht von den selben Bahnsteigen, wie die S-Bahnen, ab. Durch einen Seitenausgang gelangen wir zum richtigen Bahnsteig und können gleich einsteigen, denn an der Pullman Klasse (die mehr als das Doppelte der 2. Klasse kostet) herrscht kein solches Gedränge.
Die Abfahrtszeit rückt näher, immer wieder schallen Stimmen durch die Halle mit der Aufforderung schnell einzusteigen und Leute rennen in Richtung der vorderen Wagen, der Zug zählt so an die 20 Wagen, davon etwa 15 für die 2. Klasse.
Wir haben uns eingerichtet, breite, gut gepolsterte, verstellbare Sitze. Im Wagen gibt es auch einen Trinkwasserspender für heisses und kaltes Wasser. Mate-Tee macht man schliesslich mit heissem Wasser.
Eine Glocke ertönt und kurz darauf setzt sich der lange Zug in Bewegung. Bald verlassen wir die Halle und fahren den S-Bahngeleisen entlang, bis wir auf diese einmünden. Die S-Bahn ist mit Stromschiene elektrifiziert. Etwas östlich von uns fährt auch ein S-Bahnzug von Ferrovías aus.
Unsere Strecke schwenkt etwas nach links und dann nach Norden. Es geht durch die Stadt. Zahlreich sind die Vorortshaltestellen der S-Bahn. Auf die Bahnsteige wurden Betonelemente fixiert, um hohe Bahnsteige für den barrierefreien Einstieg in die Züge zu haben. Offenbar wurde dies schon vor sehr langer Zeit gemacht. Überall führen Rampen auf die hohen Bahnsteige. Die Zahl der Bahnübergänge wird reduziert, nicht durch den Bau von Ersatzbauwerken wie in der Presse immer wieder zu lesen, Über- und Unterführungen sind sogar recht selten, man schliesst einfach die Übergänge, lässt allenfalls einen kleinen Weg für Fussgänger offen. Oft hat man einfach ein Stück Asphalt entfernt oder es wurden Steine oder Sand in der ganzen Strassenbreite aufgeschüttet, wodurch jeder Verkehr unmöglich wurde. Die Bahnschranken sind demontiert. Bei den, immer noch zahlreichen Bahnübergängen hingegen sind noch immer handbediente Bahnschranken vorhanden und was für welche. Sie decken nur jeweils die rechte Strassenseite ab, wobei aber oft ein Schlagbaum in Strassenmitte steht. Der Zustand der Anlagen ist höchst unterschiedlich, zwischen gut und kaum mehr als Schranke zu erkennen. Markus fotografiert fleissig die britischen Semaphorsignale, denn alles ist noch mechanisch. Die Nebengeleise (teilweise war die Strecke dreigleisig) sind alle abgehängt oder entfernt worden. Der Gegenverkehr auf der Bahn ist rege, elektrische hellblau/weisse S-Bahnen kommen uns entgegen, dann wieder Dieselloks mit 3 oder 4 Personenwagen, diese kommen von den äussersten Vororten wie Zárate, Capilla del Señor, Victoria usw. Die Dieselzüge sehen noch immer so aus wie zu Zeiten der Ferrocarriles Argentinos, sie befin-den sich jedoch oft in schlechterem Zustand.
Die Stadt ist so vielfältig, Armenviertel wechseln sich mit Gewerbe und Industrien, Hochhäusern und Villen ab, alles durcheinander, es ist keine wirkliche Struktur zu erkennen. Oft ist es sehr schmutzig entlang den Geleisen, dann wieder sauber, es alles zu sehen. Wir durchfahren Stadtteile wie Miguelete oder Villa Ballester, aus letzterem stammt der weltberühmte Comiczeichner Mordillo.
Langsam wird es weniger städtisch, ab und an verwahrloste Industriebauten oder auch solche, die noch in Betrieb sind, dann wieder Armensiedlungen zwischen Müllbergen und sumpfigen Wasserlöchern, oft nur durch hohes Zuckerrohr und andere Pflanzen etwas verborgen. Wir durchfahren Orte wie Escobar und Campana und schliesslich auch Zárate. Wir haben den Grossraum Buenos Aires verlassen und schon ein Drittel der Reise hinter uns. Die Autobahn zum Brazo Largo Brückenbauwerk über den Rio Paraná, die letzte Brücke vor dem Rio de la Plata, führt über uns hinweg. Diese Autobahn stellt den Anschluss der Provinzen Entre Rios, Misiones und Corrientes mit Buenos Aires her und natürlich fliesst hier auch viel Verkehr nach Brasilien und Paraguay drüber.
Wir haben die Pampa, bzw. deren östliches Ende erreicht. Es ist flach, flach, flach. Nur Baumgruppen und kleine Wäldchen un-terbrechen das Landschaftsbild. Man sieht vereinzelt Haciendas, einige wenige ziemlich mondän, die meisten anderen sehr schlicht oder eher ärmlich. Hie und da eine Rinderherde oder Pferde. Das Land ist grün, ein kurzes Gewitter geht nieder. Die Orte folgen in großen Abständen, fast immer gleich aufgebaut. Die Häuser beginnen entlang der Bahn, dann folgt ein Bahnübergang, dann der Bahnhof (viele davon geschlossen und in schlechtem Zustand, einige sind aber auch Schmuckstücke), das Stellwerk, noch ein Bahnübergang und dann wieder die Pampa. Die Orte ziehen sich in der Regel quer zur Bahn über 2 oder 3 km hin. San Pedro, Baradero, San Nicolás heissen sie zum Beispiel. Nach San Nicolás verlassen wir die Provinz Buenos Aires und erreichen die Provinz Santa Fe. Kurz danach, in Villa Constitución kreuzen wir eine Bahnlinie im rechten Winkel, es ist eine Güterstrecke aus der Region von Pergamino, welche zu einem nahen Hafen am Rio Paraná führt und noch in Betrieb ist.
Einige Kilometer weiter befinden wir uns schon im Einzugsgebiet von Rosario. Bahnpersonal kommt durch den Wagen und alle Reisenden müssen die „Persianas“ (die Rolläden) herunterziehen. Der Zug fährt an immer mehr Armenvierteln vorbei, sie sind alle in den vergangenen 10-15 Jahren entstanden, als Tausende von Menschen aus dem Norden, mangels Bahnverkehr (!) in diese Stadt (und andere) abgewandert sind, ohne hier eine bessere Alternative zu finden. Zweimal wird der Zug dann auch von Steinwürfen getroffen, doch die zusätzlichen Plexiglasscheiben, aussen vor den eigentlichen Fensterscheiben, vermochten diese Steine bereits aufzufangen. Das Gefühl ist jedoch schon etwas seltsam, wenn man nicht nach draussen sieht und es plötz-lich am Äusseren des Wagens knallt. Die Fahrt durch Rosario ist ausserdem recht langsam, wegen vieler ungesicherter Bahnübergänge, die oft illegal entstanden sind, aber auch wegen Hütten bis nahe ans Gleis und die vielen Ein- und Ausfädelungen anderer Strecken. Nach einiger Zeit sind wir aus der kritischen Zone und die „Persianas“ werden wieder angehoben. Langsam ändert der Zug die Fahrtrichtung nach Osten, wir fahren am ehemaligen Bahnhof Ludueña vorbei, heute der wichtigste Rangier-bahnhof von Rosario und langsam schleichen wir in den Personenbahnhof Rosario Norte.
Der Zug kommt zum stehen und wir steigen aus.
Rolando Maggi, Angel Ferrer und Carlos Alberto Fernández Priotti empfangen uns herzlich. Rolando eilt sofort zum Ausgang um ein Taxi zu bekommen, gar nicht so einfach, denn die Taxis kommen nur nachts, wenn 7 der 8 Zughalte in der Woche stattfinden. Er hat zwar bei der Taxifirma angerufen, doch diese lässt sich Zeit. Seitdem vor zwei Jahren bei einem Hagelsturm viele Taxis schwer beschädigt wurden, trauen sich viele Fahrer nicht mehr bei Gewitter auf die Strasse und ein heftiges Gewitter hat soeben eingesetzt. Also warten wir. Doch endlich treffen zwei Wagen ein, denn alle haben nicht einem Fahrzeug platz. Wir steigen ein und los geht die Fahrt, etwa 14 Cuadras (Häuserviertel oder Quadrate) weit. Meinem Taxifahrer ist der extreme Regen sichtlich nicht geheuer, stellenweise ist die Strasse viele Zentimeter mit Wasser bedeckt. Nicht funktionierende Abwassersysteme scheinen eine argentinische Spezialität zu sein. Buenos Aires ist ja dafür bekannt bei jedem Regen tief im Wasser zu stehen. Nun, wir erreichen doch alle glücklich das Urquiza Apart Hotel in der gleichnamigen Strasse.
Wir beschliessen eine Pause einzulegen und auch unsere Freunde wollen zwischendrin mal nach Hause. Später treffen wir uns alle in einem nahegelegenen Restaurant zum gemeinsamen Nachtessen und besprechen des Tagesablaufes für den nächsten Tag.

In Rosario
Dienstag. Früh kommen Rolando, Angel, Carlos und als Fahrer Alejandro, alles Mitglieder der Eisenbahnfreunde von Rosario ARAR. Wir haben einige Besichtigungen von Bahnanlagen vor uns.
Wir fahren zur Betriebsleitung der Bahngesellschaft Nuevo Central Argentino NCA in Rosario. Hier angekommen, dürfen wir auf das Betriebsgelände. Wir werden von einem Verantwortlichen der NCA empfangen. Alles wurde im voraus von den ARAR Leuten bestens geplant. Wir erhalten einen ersten Blick auf den Rangierbahnhof in Rosario wo immerhin etwa alle 2 Stunden ein Güterzug ankommt oder wegfährt und die Durchschnittslänge der Züge 68 Wagen umfasst. Nach diesem kurzen Besuch geht es mit dem Auto weiter zum Stellwerk des Rangierbahnhofes Ludueña, etwas westlich vom Bahnhof Rosario Norte. Markus und die meisten anderen der Gruppe besuchen das Stellwerk, eines der grössten in ganz Zentralargentinien. Es dürfen Fotos gemacht werden und Zugsbewegungen finden auch gerade statt. Ich gehe mit Rolando zum nahen Schrankenposten und der freundliche Wärter lässt uns in den Posten hinein. Er hat jetzt 2 Schrankenanlagen zu bedienen, eine Neuheit in Argentinien, denn sonst ist je Posten nur gerade ein Übergang zu sichern, entsprechend viele gibt es davon. Dafür sind die beiden Schrankenanlagen elektrisch, Eigenbau der NCA wie uns stolz erklärt wird. Die fernbediente Schranke ist sogar mittels Bildschirm überwacht. Der Posten ist auch sonst gut eingerichtet, mit Kochplatte und Kühlschrank! Die Bahn ist recht sozial, wobei solche Einrichtungen auch schon durch die staatliche Ferrocarriles Argentinos erfolgt seien, erfahren wir. Natürlich wird hier auch laufend der immer vorhandene Mate Tee gekocht. Wir können gleich mehrere Male die Durchfahrt von Zügen erleben und wie wenig die Strassenbenützer, allen voran die Fussgänger und Radfahrer die geschlossenen Schranken beachten und diese einfach umgehen, obwohl der Zug oft schon ganz in der Nähe ist. Das ist halt auch Lateinamerika. Nach diesen eingehenden Besichtigungen geht die Fahrt weiter zur Hauptwerkstätte von NCA. In der ehemaligen Wagenwerkstätte der Ferrocarriles Argentinos, die bestens ausgerüstet und modernisiert ist, können wir die Unterhaltsarbeiten an Lokomotiven beobachten. Ganz hinten in der Ecke steht sogar noch immer eine Diesellok in den, komplett ausgebleichten, Originalfarben von Ferrocarriles Argentinos, sie wurde wahrscheinlich seit 1993, dem Jahr der Privatisierung, nie mehr bewegt. Arbeitsschutz wird heute gross gesch-rieben. Anschließend fahren wir durch einen großen Teil von Rosario, immer nach Norden, bis in die Nachbargemeinde Gobernador Baigorria an der Hauptstrecke in Richtung Tucumán. Hier können wir die Bauarbeiten am begonnenen Doppelspurausbau zwischen Rosario und San Lorenzo beobachten. Die Strecke befindet sich in recht gutem Zustand, mit einem guten Schotterbett. In San Lorenzo entstehen neue Getreideverladeanlagen, weshalb die Streckenkapazität erhöht werden muss.
Leider entfällt ein Besuch bei der Belgrano Bahn in Sorrento, einem Stadtteil von Rosario, denn dieser Stadtteil sei so gefährlich geworden, es würde laufend gestohlen, überfallen usw. das selbst Einheimische sich nicht mehr hingetrauen. Dafür gibt es eine ausführliche Stadtrundfahrt. Wir entdecken die letzten Meter Strassenbahnschienen, breitspurig – und da wollten doch welche einige meterspurige Berner Trams darauf fahren lassen....! Wir bekommen auch die Reste des ehemaligen Bahnhofes Rosario Central zu sehen, fahren durch den Tunnel der einstigen Zufahrtsstrecke zu diesem Bahnhof unmittelbar am Fluß, der heute einer Strasse dient. Wir sehen viel von dieser schönen Stadt, natürlich auch das Denkmal zu deren Gründung usw.
Nun beschliessen wir alle uns zu einer Siesta zurückzuziehen und uns am Abend wieder zu treffen, wobei sich Carlos von uns verabschiedet.
Wir werden wieder abgeholt, diesmal fahren wir dem Hafen entlang und dann zum ehemaligen Bahnhof der einstigen Córdoba Central Eisenbahn. Ein imposanter Bau und die grosse Wiese davor verbirgt immer noch Geleise! Eines davon ist noch nicht einmal stillgelegt, ganz selten mal fährt hier ein Güterzug zum Hafen durch, wobei wir uns fragen wie er das schafft, denn an den Bahnübergängen sind die Schienen kaum mehr zu erkennen. Im Bahnhof ist einiges los. Die Belgrano Eisenbahnbahn hat hier Büros und die staatliche ONABE (Treuhandverwalter der „Überreste“ der Staatsbahn) hat hier ihr lokales Büro. Doch dies ist nicht so wichtig. Uns interessieren die Räumlichkeiten der Eisenbahnfreunde ARAR hier. In der früheren Schalterhalle sind diese untergebracht. Was da alles zu bestaunen ist. Grosse Modellbahnanlagen, alte Fahrkarten, Staff-Block Geräte, Signalflügel, Dokumente usw. usw. Auch Querschnitte der Schienen von den Strassenbahnen in Rosario und vieles mehr. Leider weist das Gebäude Wasserschäden auf und ist auch von Vandalismus nicht ganz frei, doch das Inventar der ARAR ist ein wahrer Schatz. Markus kann mit Angel und Alejandro in die oberen Stockwerke des imposanten Baues.
Es wird schon dunkel, als wir den Ort verlassen. Am Fusse des ehemaligen Wasserturmes schlafen einige Obdachlose als wir daran
vorbeifahren.
Nach einer Pause treffen wir uns wieder im nahen Lokal zu einem gemeinsamen Essen, diesmal gibt es Pizza und viele interessante Diskussionen. Spät verabschieden wir uns.
Nach einer nicht sehr langen Nacht heisst es zeitig aufstehen, denn heute geht die Fahrt mit dem Bus nach Buenos Aires zurück. Alejandro und Rolando holen uns im Hotel ab und fahren uns zum Busbahnhof der sich im einstigen Bahnhof der West Santa Fe Bahn (Ferrocarril Oeste Santafesino) befindet, einem großen Bau dessen einstige Bahnsteighalle heute Läden, Restaurants, Busfahrkartenschalter usw. umfasst und wo einst das grosse Gleisfeld lag, findet man Asphalt worüber die Busse ankommen und abfahren. Man bekommt aber ein gutes Bild über die Grösse dieses einstigen Bahnhofes.
Unser Bus kommt erst aus der Reinigung als er bereits 15 Min. unterwegs sein sollte. Was soll es, offenbar nimmt man es bei den argentinischen Bussen nicht so genau mit der Pünktlichkeit, auch andere kommen zu spät an oder fahren zu spät ab. Unser Bus ist ein Direktbus Rosario – La Plata, mit Halt in Buenos Aires. Es ist ein Cama Bus. Richtige erste Klasse, breite verstellbare Sitze auf zwei Stockwerken, WC ist vorhanden, zwei Fahrer, Air-condition. Nicht lange nach der Abfahrt verteilt einer der Fahrer jedem Reisenden ein verschweisstes Päckchen mit Schinken/Käse Brot und Gebäck, alles im Fahrpreis inbegriffen. Es gibt auch kaltes und heisses Wasser vom Wasserspender.
Wir fahren auf die Autobahn nach Süden. An den Zahlstellen muss der Busfahrer jeweils den Peaje (die Gebühr) entrichten, da auch die Busse nicht davon befreit sind. In San Nicolás geht es von der Autobahn runter zum dortigen Busterminal, der weit ausserhalb des Ortes liegt. Weiter geht die Fahrt, bis wir in einen großen Stau geraten. Lange ist unklar was passiert ist, bis wir etwas vorankommen. Demonstrierende Landarbeiter haben die Autobahn blockiert, sie verlangen eine bessere Bezahlung für ihre Arbeit und ihre Produkte, denn die Produzentenpreise in Argentinien sind die tiefsten des Kontinentes, die Lebenshaltungskosten hingegen von den höchsten, ein Zustand, welcher die Leute trotz viel und intensiver Arbeit völlig verarmen lässt. Die Polizei hält eine Durchfahrtsspur mehr oder weniger regelmässig offen und ist besorgt das es nicht zu Unfällen kommt. Auch die Gegenspuren sind blockiert. Cristina Fernández Kirchner (die Staatspräsidentin) wird aufgefordert etwas zu unternehmen, doch wie immer hält sie nur recht belanglose Telekonferenzen ab. Wir spüren für einmal hautnah wie schlecht es um das Land steht.
Als wir uns Buenos Aires nähern, werden die Halte immer häufiger, nein, keine weiteren Demos, sondern Passagiere können am Rande der Autobahn aussteigen, um nicht wieder viele Kilometer zurückzufahren. Buenos Aires wird erreicht. In unzähligen Windungen quält sich der Bus über schlechteste Straßen, durch Armenviertel und dazugehörende Märkte, es wimmelt nur so von Menschen. Die Stillegung der Eisenbahnen im ganzen Land durch Präsident Menem am 10. 03. 1993 hat dazu geführt, das Millionen von Menschen in die großen Städte abgewandert sind, auch nach Buenos Aires. Immerhin sind im Landesinneren rund 400 Orte deshalb von der Landkarte verschwunden! Ob sich dies jemals rückgängig machen lässt?
Langsam erreichen wir den Busterminal, unmittelbar neben den Retiro Bahnhöfen. Kaum angekommen finden wir ein Taxi, zwar en altes klappriges, doch es bringt uns, vorbei an der Casa Rosada (dem Regierungssitz von Cristina Fernández Kirchner) und durch die grosse Avenida 9 de Julio zum Hotel. Nach dem einchecken gönnen wir uns etwas Ruhe.
Gegen Abend verlassen wir das Hotel und gehen über die 9 de Julio und dann durch die lange Fussgängerzone. Hier findet man jeden Laden, den man sich vorstellen kann, Luxus soweit das Auge reicht und viele Menschen sind unterwegs, doch auch Strassenhändler und Musikanten, alles ist zu finden. Nach einer langen Strecke machen wir Pause in einem Strassencafé und soeben beginnt wenige Meter von uns eine Demo, diesmal für eine Welt ohne Krieg. Auch das findet man hier. Immerhin ist Südamerika ein Kontinent, der von der weltweiten Terrorwelle verschont bleibt, der einzige „religiös bedingte“ Anschlag auf eine Synagoge, in Buenos Aires, liegt schon einige Jahre zurück und die Stimmen in Argentinien schreiben diesen Anschlag sogar ex-Präsident Menem zu!
Wir treten langsam den Rückweg an und bei einem Steakhouse beschliessen wir zu essen. Eine Parrillada Porteña verspricht lokale Spezialitäten, doch sie hält nicht ganz was sie verspricht, es nährt zwar sehr gut, da kalorienreich, doch nicht jedes Fleischstück ist ganz über jeden Zweifel erhaben, es sind auch eher unbekannte Innereien dabei. Na ja, fremde Länder, fremde Sitten und irgendwann kann man reinfallen, wenn man nicht jede lokale Bezeichnung der einzelnen Teile kennt. Macht nichts, satt sind wir allemal geworden. Auf dem Weg zum Hotel gibt’s noch einen Kaffeehalt.
Der nächste Tag bricht an. Heute steht wieder ein Flug auf dem Programm. Schon am Vortag konnte ich ein Taxi bestellen, denn der nette Chauffer, der uns vom Buquebus zum Hotel fuhr, gab uns seine Telefonnummer. Rechtzeitig wie bestellt steht er mit seinem schwarzen Kombi vor der Türe. Alles eingeladen und die Fahrt geht los. Es ist weit nach Ezeiza ganz im Südwesten der Agglomeration von Buenos Aires. Wir durchqueren verschiedene Stadtteile. Unterwegs kreuzt ein Zug der Belgrano Sur Vorortsbahn (heute wieder staatlich) unseren Weg, es ist ein Zug der Linie Buenos Aires (ja es gibt einen Bahnhof mit diesem Namen) – González Catán, wie wir feststellen. Mit unserem Chauffeur entsteht eine rege Diskussion, wie alle Argentinier, mit denen wir sprachen, winkt auch er ab, als Menem zur Sprache kommt, die Leute sind sehr erbost über seine Politik. Er meint auch, das die Eisenbahn unbedingt wieder kommen müsse, Argentinien könne nicht ohne leben, so auch seine Erkenntnis. So nebenbei stellt sich heraus das er russlanddeutscher Herkunft sei und sogar etwas schweizerdeutsch verstehe, da er viele in Argentinien lebende Verwandte habe, die Schweizer seien. Deshalb interessiert er sich auch ein wenig für unsere Herkunft.
Wir fahren vorbei an der Endstation der Premetro, eine Art Strassenbahn, welche an das U-Bahnnetz der argentinischen Haupt-stadt anschliesst. Ein ehemaliger Vergnügungspark liegt auch noch neben der Autobahn und immer wieder Wohnblocks. Auch Sporteinrichtungen aller Art liegen hier draussen, Pferderennbahn, Autorennbahn usw.
So allmählich nähern wir uns dem Flughafen Ezeiza. Er lag einst weit weg von Buenos Aires und wurde auf Initiative des damaligen Präsidenten Perón erbaut. Entsprechend zeigt sich seine Architektur, die damals natürlich zum Modernsten gehörte. Heute nagt der Zahn der Zeit an den Betonmauern, es ist fast ein Wunder das die Deckenverschalungen nicht herunterfallen. Er wurde zu einer Zeit gebaut, als es modern war nur mit dem Auto zum Flugzeug zu fahren, weshalb bis heute ein richtiger Anschluss an den öffentlichen Verkehr, besonders die Bahn fehlt, obwohl die Gemeinde Ezeiza selber über eine S-Bahnstation verfügt, weit weg vom Flughafen. Wir machen es uns noch bei einer Zwischenverpflegung gemütlich, nachdem wir die Ausreisegebühr bezahlt und eingecheckt haben.
Endlich werden auch wir aufgerufen zum Einstieg. Doch irgendwie hat die Verständigung zwischen Check-in und Einstieg nicht geklappt und nichts ist für meinen Transfer ins Flugzeug vorbereitet, eine ältere Dame ist ebenfalls auf Hilfe angewiesen, doch auch da fehlt es daran. Aber keine Angst, wir sind in Lateinamerika, da kommt alles irgendwie und irgendwann zum klappen und wir sind im Flugzeug, in letzter Minute. Doch weit gefehlt, nach einigen Metern kommt das Flugzeug schon wieder zu stehen und wir werden von Flugkapitän benachrichtigt das wegen eines kleinen Defektes der Abflug verzögert wird. Schon kommen Techniker. Nach einer knappen Stunde scheint das Problem behoben und die Maschine der Aerolíneas Argentinas hebt ab.
Es strahlend schönes Wetter und wir haben fast dauernd Ausblick auf die überflogene Gegend. Wir sind über der Pampa. Flach, flach, flach ist es unter uns, die Straßen reichen schnurgerade bis zum Horizont. Immer wieder Ortschaften. Die Pampa ist so eben, da sind die Niederlande geradezu ein Hochgebirgsland mit ihren Deichen und Hügeln. Nach etwa dreiviertel der Flugzeit ändert sich das Panorama abrupt. Hinter weissen Wolken tauchen die schneebedeckten Anden auf. Wir sind zwar südlich des Aconcagua, des mit 7000 Metern (neueste Vermessung) höchsten Berges der westlichen Hemisphäre und er verbirgt sich auch zwischen hohen Wolken, doch auch jene Gipfel die wir sehen sind beachtlich hoch und fast alle haben die typische Vulkankegelform. Tief eingeschnittene Täler, trocken und braun sind zwischen den Bergen zu sehen, alles offenbar menschenleer und öde, ein bizarr schönes Bild, aber irgendwie nicht zu dem passend, was wir unter Berglandschaft kennen. Etwas später beginnt sich unter uns die Landschaft zu öffnen. In der Trockenheit immer wieder grüne Felder, kleine Siedlungen und schon geht es im Sinkflug, der effektiv schon über argentinischem Gebiet begann, dem Flughafen Santiago de Chile zu und Gewerbegebiete und Industrien werden sichtbar.  Wir sind in Chile angekommen!
  
In Chile
In Santiago holt uns Luis ab, unser Gastgeber in Chile. Er ist ein guter Bekannter der Familie von Markus. Da wir mit einiger Verspätung in Santiago eintrafen, musste er lange auf unsere Ankunft warten.
Das Wetter war wunderbar, etwa 10 Grad kühler, als in Argentinien, aber trotzdem noch angenehme 24-25 Grad.
Mit dem Auto fuhren wir an Santiago vorbei. Die Autobahn ist bestens ausgebaut und automatische Erfassungsstellen registrieren jedes Auto und der Fahrer bekommt danach die Rechnung für die Autobahnbenützung nach Hause, also kein Anstehen an Zahlstellen. Links und rechts bietet sich ein modernes Bild, teilweise nordamerikanisch, wenn man die riesigen Supermärkte und Shopping Malls sieht, doch die Häuser machen oft einen europäischen Eindruck. Der häufigen Erbeben wegen wird hier massiver gebaut als in Nordamerika.
Nach einer nicht so langen Autofahrt erreichen wir San Bernardo, die erste Nachbargemeinde südlich von Santiago. Hier fällt auf das fast nur niedrige Gebäude vorhanden sind, selbst im Zentrum erreichen sie selten ein 5. Stockwerk. Das Zentrum ist lebhaft, zahlreiche Geschäfte und Banken, man bekommt alles hier. Die Stadt zählt rund 250'000 Einwohner und liegt etwa auf 540 Metern über Meer. Die Gemeinde San Bernardo ist nur etwa 20 Jahre jünger als die demnächst 200 Jahre alte Republik Chile. Sie entstand beim Bau eines Kanals zur Versorgung von Santiago mit Wasser, doch erst der Bau der Eisenbahn und deren Hauptwerkstätten brachte San Bernardo zum erblühen. Der Ortsname geht auf Bernardo O’Higgins, dem ersten Präsidenten und einem wichtigen Unabhängigkeitskämpfer Chiles, zurück. Nach Durchquerung des Zentrums, wo wir uns auch noch mit chilenischen Pesos eindecken, kommen wir in den Stadtteil wo Luis lebt. Wir fahren am Park vorbei um welchen der Ort einst gegründet wurde. Teilweise ist ein Kinderspielplatz hier eingerichtet und auf den Bänken sitzen Menschen. Hohe Bäume spenden Schatten, der Rasen weist einige kahle Stellen auf. Schon hier fallen die vielen Pflanzen auf, die in Europa üblich sind.
Wir erreichen das Haus von Luis. Er erzählt uns, das wir die ersten Besucher seien, er wurde mit den Um- und Ausbauarbeiten erst am Vortag fertig. Endlich lebe er nicht mehr in einer Baustelle, meinte Luis erleichtert.
Wir machen es uns gemütlich und ruhen uns etwas von der Reise aus. Als dann die Frage zum Nachtessen aufkam, schlug uns Luis vor, Essen von einem Chinesen, der in der Nähe neu eröffnet hatte, zu holen. Mal etwas anderes, auch wenn wir hier genau auf der anderen Seite des Pazifiks sind. So holen Markus und Luis ein reichliches Mahl, verschiedene Fleischsorten mit Gemüse und Reis. Eine Nachbarin stösst noch dazu und wir begiessen zusammen das gute Essen mit einem echten, aromatischen chilenischen Rotwein.
Markus hatte einen Wunsch. Mal ein Wig Wag Signal zu sehen. Diese Pendelsignale an Bahnübergängen gibt es nur noch in Chile und den USA. In der Schweiz gab es auch einmal einige wenige. Es handelt sich um ein Signal welches die Straßenbenützer vor herannahenden Zügen warnt, in Chile fast immer zusammen mit handbedienten Bahnschranken. Das Signal umfasst einen schwarz/weiss gestrichenen Mast mit einem Ausleger über die Strasse, woran ein Pendel hängt, welches bei Zugfahrten hin und her schwingt und dazu eine Glocke ertönt. In Walt Disney Trickfilmen kommen solche Signale auch manchmal vor.
Also was liegt näher als am Freitag mit Luis loszufahren. Diese Signale sind ihm auch bekannt. Er zeigt uns die beiden Bahn-höfe von San Bernardo. Den Bahnhof San Bernardo, wo der Bahnübergang mit dem Wig Wag Signal soeben durch eine Unterführung ersetzt wird und die Station Maestranza, neben welcher sich früher die Hauptwerkstätten der Breitspurbahn Chiles befanden. Bis auf ein grosses, heute leeres Gebäude, ist nichts mehr zu sehen. Das ganze Areal wurde mit Einfamilienhäusern überbaut. Also fahren wir der Bahn entlang südwärts in Richtung Nós. Bald erreichen wir einen Schrankenposten (sie sind sehr zahlreich vorhanden), das Wig Wag Signal hier steht noch, aber komplett zerstört. Nicht weit davon folgt ein Bahnübergang mit automatischer Schranke, hier steht noch ein solches Signal, praktisch komplett, aber ausser Betrieb. Bei einem dritten Übergang können wir nicht anhalten, denn wegen einer Baustelle besteht hier ein komplettes Verkehrschaos, ein funktionierendes Wig Wag ist aber auch nicht auszumachen.
Nun beschliessen wir in Richtung Berge zu fahren. Wir überqueren unterwegs den breiten, fast senkrechten Taleinschnitt des Rio Maipo, der zwischen Felsen und Sandbänken mäandert. Kein Wunder, hier herrschen 8 Monate absolut niederschlagsfreier Sommer, da sinkt der Wasserstand in den Flüssen und es ist nur den zahlreichen Gletschern und Schneeflächen der nahen Anden zu verdanken, dass das ganze Jahr Wasser fliesst.
Wo man hinsieht, Trauben, Äpfel und anderes Obst werden angebaut. Auf leeren Flächen werden auf Planen frisch geerntete Pflaumen in der Sonne getrocknet. Es ist eine kleine violette Pflaumensorte, deren Bäume sehr ertragreich sind. An der Strasse stehen manchmal gigantische Sisalagaven. Die Prunkwinden blühen üppig mit riesigen blauen Blumen. Sie fielen schon in Uruguay und Brasilien auf, kein Wunder, sie stammen aus dem südlichen Brasilien und dort findet man sogar einen Ort namens Ipomeia, dem lateinisch-portugiesischen Namen für diese Blumen. Doch auch Geranien, bis über 1 Meter hoch sind zu sehen, Rosen blühen in dieser Gegend meist in weiss. Auf kleinen Flächen wächst Mais. Nebst Obstbäumen sieht man auch Platanen, Trauerweiden, aber auch für Chile typische Bäume wie Araukarien und andere Bäume die es hier schon zur Zeit der Dinosau-rier gab. Das hervorragende Klima lässt hier alles gedeihen. Wie auch in Uruguay, blühen auch hier Taglilien und Petunien. In chilenischen Gärten findet man jedoch auch viele Tagetes und Statizen, alles um einiges grösser als in Europa. Bei den Wildblumen fallen vor allem die vielen ‚Wegwarten‘ (Cichorium intybus) und blauen Zaunwicken auf. Wir fahren durch das Gebiet der Gemeinde Santa Rita de Pirque. Unterwegs halten wir in einer kleinen Gaststätte an einer Strassenkreuzung. Die Sandwiches hier sind riesig, dazu Pommes Frites und nicht nur Ketchup, sondern auch Ají Chileno. Eine herrlich würzige Sauce, etwa ähnlich wie Tabasco, aber in der Konsistenz von Ketchup. Ja, auch scharfe Paprikaschoten (Piments) gedeihen hier bestens.
Über Puente Alto kehren wir nach San Bernardo zurück. In Puente Alto können wir uns davon überzeugen, das die Wiederaufbaupläne der Schmalspurbahn Puente Alto – El Volcán schlichtweg Wunschträume sind, denn die Trasse ist weitgehend überbaut und an ganz wenigen Orten kann man den Streckenverlauf noch erkennen und nur an einem Ort leuchten noch Schienen im Asphalt eines ehemaligen Bahnüberganges.
Bei dieser Auswahl gibt es zum Abendessen mal so richtig viele frische Früchte.
Samstag. Wir haben beschlossen am Abend mal zu kochen, so haben wir auch mal auf der südlichen Erdhalbkugel den Kochlöffel geschwungen. Da Luis am Vormittag zu arbeiten hat, begeben wir uns alleine ins Stadtzentrum, auch um einige Besorgungen zu machen. Markus ist auch auf der Suche nach einem Friseur und wir finden einen in einer Passage. Für mich ist es schon ein wenig eine Herausforderung auf spanisch einem chilenischen Friseur zu erklären, wie er Markus die Haare zu schneiden hat. Doch es klappt alles und für weniger als 10 Franken sieht Markus wieder aus „wie neu“. Danach erledigen wir einige Besorgungen unter anderem kaufen wir guten chilenischen Käse und auf dem Rückweg finden wir auch einen Fleischer, wo ich schöne magere Schnitzel finde und der selbe Laden führt auch Milch, Getränke usw. Nebenan bekommen wir riesige Broccoli, sehr schmackhafte Tomaten und mehr.
Kaum bei Luis zurück, gehen wir mit ihm zum Wochenmarkt, der am Samstag in seiner Strasse stattfindet. Auf den ersten paar Metern findet ein Flohmarkt statt. Leider finden wir keine Teesiebe für Ute, obwohl in Chile sehr viel Tee getrunken wird. Anschließend folgt der Lebensmittelmarkt. Hier decken sich viele Familien gleich für die ganze Woche ein. Die Auswahl ist umwerfend: Gemüse: riesige Zwiebeln, super reife Tomaten, Karotten, Sellerie, Kartoffeln, Salate, Paprikaschoten, Knoblauch, auch getrocknete Algen und vieles mehr.  Es fällt auf das die meisten Gemüse wesentlich grössere Dimensionen aufweisen, als in Europa. Früchte: riesige längliche, gestreifte Wassermelonen, hellgrüne Zuckermelonen mindestens 3 mal grösser als die hier bekannten, weisse und gelbe Nektarinen, Pfirsiche. Erdbeeren und Brombeeren werden Kiloweise verkauft, sie sind überreif und sehr aromatisch. Trauben in allen drei Farben. Aber auch Dörrfrüchte und uns unbekannte Früchte aus diesem Erdteil. Natürlich findet man auch Äpfel (Chile ist der drittgrösste Produzent von Gala und Granny Smith Äpfeln) und Birnen. Natürlich bekommt man auch Getreideprodukte, Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte usw. auf diesem Markt. Die Auswahl ist unbeschreiblich und die Preise tief. Schade das wir davon nichts nach Europa mitnehmen dürfen.
Am Nachmittag wird Lobo, der Hund von Luis von Markus gebadet. Ein ganz neues Erlebnis für den jungen Schäferhund.
Am Abend kochen wir. Schweineschnitzel mit Röstzwiebeln und Knoblauch, mit Nudeln und Broccoli mit zerlaufenem Käse und Salat aus Zwiebeln und Tomaten. Luis spendiert wieder einen guten chilenischen Rotwein. Auch einem netten Besuch schmeckt dieses Menü. Zum Nachtisch werden wir mit frischen Erdbeeren und Schwarzwäldertorte verwöhnt.
Sonntag. Heute unternimmt Luis ein weiterer Ausflug mit uns. Schon zeitig verlassen wir San Bernardo, wie immer bei strahlendem Wetter. Wir fahren etwa in westlicher Richtung, dem Küstengebirge entgegen. Vorbei an Melipilla. Auch hier ist wieder alles sehr fruchtbar. Obst, Trauben, Gemüse soweit das Auge reicht. Je mehr wir uns der Küste nähern, desto dichter wird die Besiedelung und Städte wie San Antonio und Cartagena tauchen auf. In El Quisco fahren wir zur Pazifikküste hinunter. Markus ist zum ersten Mal im Leben an diesem Meer, dies muss er auch eingehend besichtigen und steigt bis zu den Felsen raus. Ich bleibe mit Luis etwas zurück, wundere mich aber wieder über den üppigen Bewuchs des Sandes durch Zaunwicken und Wegwarten, aber auch wilde Geranien, bis 1 Meter hoch stehen hier. El Quisco ist ein Ort voller Ferienhäuser, aber trotzdem sehr ruhig. Ganz in der Nähe steht auch das Haus des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Pablo Neruda, welches heute als Museum zu besichtigen ist. Dies war nicht immer so. Nach seinem Tod 1973 wurde es auf Befehl vom damaligen Diktator Pinochet total verwüstet.
Wir fahren noch zu einer weiteren Bucht, wieder Geranien und Araukarien welche die Grundstücke der, zum Teil recht luxuriösen Ferienhäuser, zieren. Am steinigen Strand bündelt eine Frau getrocknete schwarze Algen zu großen Bündeln. Die aus dem Meer gefischten Algenbüsche sehen aus wie grosse Tintenfische, sie werden getrocknet und dann gebündelt an die Industrie verkauft. Daraus werden kosmetische Produkte, aber auch Lebensmittelzusätze produziert. Es liegt ein salzig bis leicht modriger Geruch in der Luft.
Wir verlassen wieder die Küste, der Pazifik ist viel zu kalt um zu baden. Zwischen El Quisco und Algarrobo steht ein Pinienwald, er ist unter Naturschutz. Die Fahrt geht weiter über Algarrobo nach Nordwesten wieder ins Landesinnere. An verschiedenen Stellen sehen wir verbrannte Flächen. Es sind meist Parzellen mit Eukalyptusbäumen, die sich in der Sommerhitze selbst entzündet hatten (wie in Uruguay auch), dies fällt meist daran auf das am Boden und an den Baumstämmen alles schwarz verkohlt ist, die Baumspitzen jedoch noch grün sind. Die Berge sind wieder recht trocken, die Seite zum Pazifik hin ist jedoch grün, von Wäldern und Buschwäldern überzogen, die Seite zum Land hin präsentiert sich eher in Brauntönen. Nach mehreren Kilometern tauchen wir in das Tal von Casablanca ein. Eines der Topanbaugebiete für chilenische Weine. Das trocken-warme Klima hilft beste Weiss- und Rotweine aus verschiedenen Sorten wie Riesling und Cabernet Sauvignon zu produzieren. Zu den grössten Abnehmern dieser Weine gehören die Franzosen! Am Rande dieses Tales zweigt die Hauptstrasse nach Viña del Mar ab. Wir fahren jedoch geradeaus und bald sinkt die Autobahn in unzähligen Kurven steil ab und die ersten Stadtteile von Valparaíso werden sichtbar. Da Valparaíso nur über wenig flaches Land verfügt, kleben die vielen, meist kleineren Häuser regelrecht an den steilen Hängen, nicht selten auf Pfählen. Als Spezialität muss auch gesagt sein, das die Häuser hier äusserst bunt angestrichen sind. Dieses einmalige Stadtbild führte dazu, das Valparaíso unter Unesco Schutz gestellt wurde. Im Zentrum ist Markt, natürlich auch Flohmarkt. Nach einigem Suchen finden wir ein unterirdisches Parkhaus im Stadtteil Bellavista. Zuvor sind wir an der zentralen Trolleybus Station vorbeigekommen. Es ist der letzte Trolleybusbetrieb Chiles und führt vom Westen in den Osten der Stadt, allerdings wird am Sonntag nicht gefahren. Es stehen Trolleybusse aus den USA, aus Schaffhausen, Zürich und Genf herum, sie haben jedoch alle inzwischen den gelb/grünen Anstrich bekommen.
Doch diese Stadt ist noch für ein anderes Transportmittel berühmt geworden. Es sind die zahlreichen Ascensores (Aufzüge), sicher noch 20 in Betrieb, wie hier die Standseilbahnen genannt werden. Sie verbinden die Unterstadt mit den vielen hoch liegenden Stadtteilen und sind nicht selten ziemlich halsbrecherisch steil angelegt. Einen testen Markus und Luis. Da diese Verkehrsmittel nur über Treppen erreichbar sind, bleibe ich unten und beobachte den sonntäglichen Strassenverkehr.
Anschließend begeben wir uns zu einem verspäteten Mittagessen.
Danach setzten wir den Rundgang durch die Stadt fort. Über einen verkehrsberuhigten Platz erreichen wir den Bahnhof Valparaíso Puerto (Hafen) und wirklich, nur gerade gegenüber befindet sich der militärische und der zivile Hafen, alles mitten in der Stadt, welche sich um die ganze Bucht zieht. Das relativ moderne Bahnhofsgebäude wird heute weitgehend von der chilenischen Marine genutzt, nur ganz aussen, da wo früher die Bahnsteige endeten, befindet sich heute die Endstation der Merval (Metro Regional de Valparaíso / S-Bahn). Die Fernpersonenzüge nach Santiago wurden schon unter Pinochet stillgelegt, nachdem das Depot mit den Fahrzeugen dieser Linie ganz offensichtlich gezielt angezündet wurde, die Polizei verhinderte ja sogar erfolgreich das die Feuerwehr löschen konnte. Viele Freunde von Pinochet hatten Busgesellschaften, muss man noch mehr sagen...? Hingegen konnte sich der Nahverkehr ab Valparaíso immer mehr oder weniger auf der Schiene halten. Und unter Präsident Lagos erfolgte die endgültige Modernisierung. Alstom aus Frankreich erneuerte die Signalanlagen, lieferte neue Züge und baute in Limache ein neues Depot, die Staatsbahn EFE hat die Strecke renoviert und die Durchfahrt durch die Stadt Viña del Mar in den Untergrund verlegt, nur der Endbahnhof in Valparaíso ist bis heute unvollständig. Eine Halle aus Beton und Glas mit einem Zugang durch einen containerartigen Holzverschlag und schönen Plakaten, wie der Bahnhof einmal aussehen soll... .
Wir fahren mit dem nächsten Zug nach Viña del Mar. Halte in Bellavista, Francia, Barón, Portales, Recreo und Miramar sind die Zwischenstationen, dann taucht der Zug in den langen Tunnel ein und kommt im ziemlich nüchteren Bahnhof von Viña del Mar zu stehen. Die ganze S-Bahn ist bestens rollstuhlgängig! So erreichen wir auch über zwei Lifte wieder das Tageslicht.
Viña del Mar ist etwa das Monaco der südamerikanischen Pazifikküste. Hier finden Festivals statt und alles was Rang und Namen hat verbringt hier mindestens einige Tage jedes Jahr. Natürlich zieht dies auch die obere Mittelschicht und die Oberschicht, nicht nur aus Chile, an. Entsprechend ist hier auch das Preisniveau angehoben und die zahlreichen Hotelbauten zeigen das sie zur gehobenen Klasse gehören.
Nach einem ausgiebigen Spaziergang vom Bahnhof zum Strand genehmigen wir uns eine Erfrischung, darunter auch ein Eis mit Nutella (ja, dem Brotaufstrich) drin. Anschließend spazieren wir noch über einen Teil der langen Strandpromenade und sehen dem Treiben im Wasser zu. Obwohl das Wasser recht kühl und trüb ist, vergnügen sich massenhaft Leute darin, dicht an dicht. Auf der Strandpromenade findet man zahlreiche Kioske und immer wieder fliegende Händler, die allerlei Krimskrams zu verkaufen versuchen.
Um nach Valparaíso zurück zukehren beschliessen wir ein Taxi zu nehmen. Über die Hauptstrasse entlang der Küste geht es zurück. Schlossartige Villen kleben am Berghang und auf Felsen über der Küste, sie zeigen deutlich, welche soziale Schicht hier lebt. Bekannt ist, das viele der teuersten Villen unverbesserlichen Anhängern von Pinochet gehören. In Valparaíso angekommen, steigen wir wieder ins Auto von Luis, um uns auf den Weg zurück nach San Bernardo zu machen. Die Abendsonne vergoldet die trockenen Hügel um Casablanca. Die Autobahn ist relativ steil, denn wir müssen ja von Meereshöhe einige Hundert Meter höher steigen, dies auf einer kurzen Distanz. Und der Verkehr ist beachtlich. Wochenendausflügler kehren von der Küste nach Santiago zurück, die alle paar Minuten verkehrenden Linienbusse und zahlreiche Lastwagen füllen die letzten Lücken auf der Strasse und der Verkehr wird immer langsamer, bis wir in einem langen Stau stehen. Hier zeigt sich, wie wichtig eine leistungsfähige Eisenbahn von Valparaíso und Viña del Mar nach Santiago wäre. Selbst die bestehende kurvenreiche Bahnstrecke könnte, nach einem mittelmässigen Ausbau, Passagiere schneller transportieren, als dies auf der kürzeren Autobahn der Fall ist. Nur – die Politik möchte hier nur eine TGV Strecke und da diese nicht zu bezahlen ist, wird keine Alternative geprüft. Nun gut, uns bleibt nur Geduld zu haben und die Szenerie zu beobachten. Als wir um Santiago fahren beginnt es bereits dunkel zu werden und relativ spät sind wir wieder in San Bernardo.
Montag. Um es gemütlich zu nehmen, lassen wir uns von Luis erst gegen 10 Uhr zum Bahnhof Maestranza bringen. Heute fahren wir nach Süden. Doch unsere Fahrt geht zuerst nach Norden. Gegen 10.25 fährt ein Zug von Metrotren, der S-Bahn von Santiago nach dem Hauptbahnhof Alameda, in Santiago. Der Zug kommt aus San Fernando und ist extrem gut ausgelastet. Es ist schwierig noch mit einem Rollstuhl einzusteigen, doch irgendwie geht es. In San Bernardo steigen noch mehr Passagiere zu. Ein Zug je Stunde, ausserhalb der Hauptverkehrszeiten, ist einfach viel zu wenig. In Pedro Aguirre Cerda, dem letzten Halt vor Santiago, steigen kaum noch Passagiere zu, zum Glück. Hier durchquert die Bahn die ärmsten Stadtteile, geprägt von heruntergekommenen Industriebauten, Schrottplätzen und armseligen Häusern. Zwischendrin stehen aber auch hier protzige Shopping Malls.
Der Zug trifft im Bahnhof Alameda ein. Eigentlich ist der Hauptbahnhof von Santiago heute eher ein riesiges Einkaufszentrum der gehobenen Klasse, mit Restaurants, Banken und Geschäften aller Art, von der Nobelboutique bis zum Baumarkt, mit Bahnanschluss und grossem Busterminal. Zwischen Geschäfts- und Restaurantschildern und Werbeveranstaltungen und Musik ist es fast etwas schwierig die Fahrkartenschalter der EFE (Staatsbahn) für die Metrotren und die TerraSur Züge zu finden. Doch schlussendlich finde ich den TerraSur Schalter. TerraSur ist der Markenname der EFE Fernzüge von Santiago nach Süden. Da wir nicht wissen wie stark die Züge besetzt sind, haben wir uns nicht festgelegt, ob wir nun um 12.30 oder 13.30 nach Talca fahren wollen. Doch für die teurere Preferente Klasse gibt es noch reichlich Fahrkarten, auch weniger als eine Stunde vor Abfahrt. 12'000 Pesos, also etwas über 23 Franken bezahle ich pro Person für die 256 km lange Fahrt nach Talca. Durch die Bahnsteigsperre gelangen wir zum Zug auf Gleis 1.Vor dem Zug wird soeben eine Abschiedsszene gefilmt. Ist es eine Telenovela oder sonst ein Liebesfilm? Das erfahren wir nicht, aber wer weiss, ob wir nicht auch noch im Hintergrund zu sehen sein werden? Wir lassen die Schauspieler ihre Kussszene vollenden und steigen ein. Das Personal ist sehr hilfsbereit und hilft sofort beim Gepäck. Sie sind ganz überrascht, das ich die 2 Stufen auf dem Hosenboden rauf rutsche und helfen mir drinnen wieder in den Rollstuhl. Der Gang zwischen den Sitzen (auf einer Seite zwei, auf der anderen nur einer) ist breit und ich komme bequem zu unseren Plätzen. Die Sitze sind breit, weich und bequem.
Der Zug verlässt die luftige Bahnhofshalle von Alameda pünktlich.
Wieder fahren wir an San Bernardo und Maestranza vorbei und nun weiter nach Süden. Natürlich halten wir Ausschau nach weiteren Wig Wag Signalen. Nicht einfach, bei einem Zug der 120 bis 140 km/h schnell ist. Nós, Buín, Linderos, Paine, San Francisco, Graneros und Rancagua sind einige der nächsten Stationen. Es wirkt recht ländlich, obwohl diese Gegend noch zum Einzugsbereich der Hauptstadt gehört. Zwischen den Orten immer wieder Obstbau, Weinbau und manchmal auch Gemüse. Es folgen die letzten Orte an der Metrotren Vorortslinie: Requinoa, Rosario, Rengo, Pelequén und San Fernando. Bis hier kommen die Vorortszüge nur noch alle zwei Stunden. Alle Bahnhöfe von Metrotren wurden in den vergangenen Jahren erneuert. Hohe Bahnsteige, rollstuhlgängig, die Gebäude einheitlich in gelb und weiss gestrichen. Durch entsprechende Einzäunungen ist es praktisch nur möglich durch die Bahnsteigsperren auf den Bahnsteig und in den Zug zu kommen, womit die Zahl der Schwarzfahrer drastisch reduziert wird, dazu kommt, dass selbst in Überfüllten Zügen Fahrkartenkontrollen statt finden. Die Landschaft ändert sich auch südlich von San Fernando kaum, überall intensive Landwirtschaft bis zu den Gebirgszügen, welche selber in hellem Braun erstrahlen. Die Abstände zwischen den Ortschaften werden etwas grösser, fast alle Bahnhöfe sind geschlossen, einige schon zu Ruinen verkommen, hier fahren nur die Schnellzüge durch. Mehrmals sind die Stellwerke noch bedient, da noch Kreuzungsgeleise in Betrieb sind. In Curicó findet wieder ein Halt statt.
Pünktlich erreichen wir Talca unser heutiges Ziel.
Nur einige Straßen weit erreichen wir das Hostal del Monte. Von aussen ein unscheinbarer Bau in blau und orange gestrichen, doch drinnen reihen sich die einfachen aber zweckmässigen Zimmer auf zwei Seiten des Innenhofes.
Hier erfrischen wir uns erstmal und entspannen ein wenig, denn der Tag ist noch nicht vorüber.
Um 17 Uhr holt uns Herr Nicolás Müller-Ramirez ab, ein jahrelanger Kontakt von mir in Chile. Er gibt uns eine Programmänderung bekannt. Wir werden nicht in ein typisches chilenisches Restaurant gehen, dafür sind wir bei ihm zu Hause eingeladen. Deshalb verlassen wir mit ihm per Auto die Stadt Talca. Es geht raus aufs Land, nach Pelarco. Auch hier wieder grünes Land, Obst, Weinbau und dazwischen ducken sich niedrige Häuser. Wir münden von einer erst kürzlich asphaltierten Strasse auf das Grundstück von Müllers. Ein schönes Paradies im Grünen, mit einem gepflegten Garten in dem zwei Hunde herumtollen und einige Hühner herum spazieren. Eine fleissige Haushälterin wuselt herum, giesst den Garten und ist in der Küche eifrig beschäftigt. Wir werden von der Hausfrau empfangen. Auf dem angenehmen Sitzplatz nehmen wir einen ganz speziellen Cocktail ein. Anschließend wird der Grill angeheizt. Bei einer herrlichen Parrillada, mit gebratenem Fleisch, Gemüsen, Reis und Salat und dazu natürlich aromatischer chilenischer Wein. Einfach köstlich! Bei diesen Köstlichkeiten und vielen guten Gesprächen wird es spät. Nachdem einer der Hunde noch seine Kunststücke vorgeführt hat, werden wir von Herrn Müller wieder nach Talca ins Hostal gefahren. Der Aufenthalt bei Müllers war zu kurz.
Nach einer kurzen Nacht müssen wir um 6 Uhr aufstehen. Das Hostal hat das Frühstück für uns extra früher zubereitet. Crackers, Butter, Marmelade, Frühstücksflocken, Obst, Orangensaft, Kaffee.
Nach dem Frühstück begeben wir uns zum Bahnhof, denn ab 7 Uhr gibt es Fahrkarten. Als wir in die Schalterhalle des Bahnhofes gelangen sehen wir weshalb man rechtzeitig Fahrkarten kaufen soll, denn diese nach Constitución sind sehr begehrt. Wir erhalten dann auch welche und begeben uns auf die südliche Seite des Bahnhofes. Hier steht der Buscarril. Ein Schienenbus mit einem Führerstand und zwei angehängten Beiwagen. Die Fahrzeuge sind etwa 45 Jahre alt und wurden von Ferrostaal in Essen (Deutschland) gebaut und sind dank ihrer Robustheit noch heute im Einsatz. Bei der Platzsuche werden wir auf den letzten Wagen verwiesen – „der ist noch leer“ – rief ein Angestellter. Leer? Bereits waren fast alle Plätze besetzt und die Abfahrt ist ja erst in 15 Minuten. Und auch dieser Wagen füllte sich noch. Mit einer Besetzung von mindestens 150% (im „leeren“ Wagen) verliess dieses Züglein pünktlich den Bahnhof Talca. Laut hupend rumpeln wir auf den Meterspurgeleisen aus Talca hinaus, erst noch ein ganzes Stück parallel zur Breitspurstrecke, um dann nach rechts abzubiegen. Feuchtgebiete mit urwaldartigem Baumbewuchs wechseln sich mit Landwirtschaftsparzellen ab. Auf Wiesenflächen grasen Kühe. Die Morgensonne beginnt die Landschaft golden zu beleuchten, es ist noch kühl.
Colín, der erste Halt. Der Ort ist recht gross, alles Einfamilienhäuser, viele davon recht neu. Passagiere steigen ein und aus, obwohl bis hier auch noch ein Bus aus Talca kommt.
Wir durchqueren wildes Land. Rechts steigt das Land ziemlich schnell an. Doch die Talsohle ist wieder intensiv mit Reben und Kiwi bepflanzt. Diese Pflanzen wuchern sogar über Bäume hinweg. Hier scheinen Kulturpflanzen zu Wildpflanzen zu werden. Immer wieder auch Melonenfelder, bleich liegen die weisslichen Früchte zwischen den halb verwelkten Blättern. Die Haltestellen Rauquén und Pocoa sind fast nicht zu sehen, wenn man nicht weiss, wo sie sind. Doch an beiden herrscht wieder reger Fahrgastwechsel, obwohl man weit und breit keine Häuser sieht. Wenige Minuten nach Pocoa halten wir wieder, an einem Bahnübergang, zwei Tagelöhner steigen hier aus, da sie zur Obsternte können, wie ich aus deren Diskussionen entnehmen konnte. Kurz darauf halten wir in Corinto. Immerhin einige Häuser in Sichtweite der Bahnstation.
Der Wagen Nummer drei, in den immer wieder Zusteigende verwiesen werden, da hier noch Platz sei, ist schon fast zum platzen voll. Alle Sitzplätze sind besetzt, im Gang stehen Leute, genauso in den beiden Eingängen. Wir haben die Sitzbank grad am Eingang. Nur wenige Zentimeter vor mir steht ein junges, offenbar sehr verliebtes Paar. Während der schaukelnden Fahrt lehnen sie fest umarmt gegen die wacklige Türe. Wenn der Zug hält steigt die junge Frau aus und hilft zusteigenden Passagieren in den Wagen. Die meisten Passagiere reisen mit viel Gepäck. Alle sozialen Schichten sind zu finden. Tagelöhner, Leute die nach Constitución zum Markt oder Arzt fahren, einige Touristen, doch auch Männer in Anzug und Krawatte. Zum Glück sind Schulferien. Wie kriegen die noch all die Schüler in diesen Zug rein? Auf einer Reisetasche vor den Füssen von Markus sitzt ein kleines Mädchen, durch die Schaukelei des Fahrzeuges schläft sie ein.
El Morro, ein weiterer kleiner Halt, der fast nicht zu sehen ist.
Plötzlich drängelt sich ein grauhaariger Mann, in rotem Jackett, zwischen den Passagieren hindurch. Auf einem Tablett balan-ciert er Kaffeetassen und selbst geschmierte Butterbrote und preist diese an. Ein nie erwarteter Service beginnt. Denn so alle 15 bis 20 Minuten kommt der Herr vorbei, mal mit einem Korb voller Getränkeflaschen, mal mit Chips und Süssigkeiten. Und er verkauft immer wieder was. Schon aus Begeisterung über diesen Service, kaufe ich ihm auch etwas ab.
Curtiduria ist wieder ein kleines Dorf mit Bahnhof, wieder mehrere zusteigende Passagiere. Irgendwo geht immer noch jemand rein. Los Llocos, hier liegen ausgedörrte Äste auf einem Holzrahmen – das ist das Bahnsteigdach! Immer wieder kommen rechts die Höhenzüge bis ans Gleis, links öffnet sich der Blick auf den breiten Rio Maule. El Tricahué und El Peumo sind weitere kleine Haltepunkte, überall finden sich Passagiere für den Zug.
González Bastias ist erreicht. Dies ist etwa der Mittelpunkt der Strecke. Hier kreuzen sich die Züge aus beiden Richtungen jedes mal. Hier steigen viele aus, doch nicht weil hier die Fahrt zu ende ist, sondern wegen der Möglichkeit sich weiter mit Essen einzudecken. Auf dem Bahnsteig verkauft eine Frau die hiesige Spezialität – hart gekochte Eier. Doch offenbar wird auch Brot verkauft, denn viele Steigen auch mit Brot ein. Auf dem dritten Gleis stehen verrostete, halb zerfallene Personenwagen, aus der Zeit als hier noch lange Züge mit Lokomotiven verkehrten. Davor steht ein Zweiwegefahrzeug (für Schiene und Strasse) einer Privatfirma für Gleisbau. Es wird also doch etwas an der Infrastruktur dieser Strecke gemacht. Im Oktober 2001 wollte die Staatsbahn EFE diese Strecke stillegen, doch Interventionen und Vorschläge von Seiten unserer Organisation FLB/AIFFLA (damals noch zusammen) verhinderten diesen Schritt, welcher für die strassenlosen Anliegerorte verheerende Folgen gehabt hätte. 2007 wurde die Strecke sogar zum nationalen Monument erhoben. Doch die Investitionen (gerade mal 2Mio. US$) erfol-gen erst jetzt – aber besser so, als gar nicht.
Nach etwa 10 Minuten geht die Fahrt weiter, alle wieder im Zug und noch einige mehr. Rechts wird die Landschaft etwas rauher, weniger Landwirtschaft, steilere bewaldete Hänge.
Toconey, Pichamán und Romeros sind weitere Halte. Zwischen Pichamán und Romeros, mitten im Wald, steigt eine ganze Gruppe Personen aus. Eine ganze Familie? Die Frau trägt einen neugeborenen Säugling im Arm. War sie zur Entbindung in Talca? Der Ausstieg ist beschwerlich, denn unmittelbar nebem Wagen geht es ziemlich weit runter. Kaum stehen die Leute regelrecht unterhalb des Wagens, geht es mit einem kräftigen Pfiff wieder weiter. In Forel stehen zwei alte Personenwagen der Bahn als Bahnstation, dahinter ist ein Steinbruch, alles ist staubig und auch hier wieder Passagiere. Hier wie an anderen Orten liegen neue Schwellen bereit, um die alten kaputten Schwellen zu ersetzen.
In Huiganes scheint es nur einen Weg zu geben, jenen der Bahn, den die Leute auch als Fussweg nutzen. Entsprechend wird kräftig gehupt. In Los Digueñes fahren wir ohne Halt durch. Für einmal eine Haltestelle, die heute früh keine Passagiere aufweist. In Maquehua (am Stationsgebäude mit Maquegua bezeichnet) halten wir wieder, unter dem Bahnhofsvordach warten wieder mehrere Passagiere. Das Stationsgebäude ist mit den Gemeindewappen des Ortes hübsch bemalt. Auch hier scheint das Bahngeleise fast der einzige Fussweg zu sein.
Vorbei an steilen Bergwänden erreichen wir eine kleine Strasse, die aus dem Wald von rechts zum Bahngleis führt. Die nun unmittelbar folgende Brücke über den Rio Maule war bis vor nicht all zu langer Zeit eine kombinierte Bahn- und Strassenbrücke. Man sieht noch Überreste von Planken. Langsam überquert der Zug die lange Brücke.
In Rancho Astillero halten wir nicht. Es ist die wohl einzige Haltestelle, die ausschliesslich dem Tourismus gilt. Sie bedient eine Ranch, in welcher man regionale Spezialitäten essen kann und nur wenige Meter entfernt bieten die Sandbänke am Rio Maule entspanntes Strandleben. Da man auf der Strasse schlecht hinkommt, würden bei schönem Wetter oft Leute aus Constitución hierher fahren, erklärt man mir. Heute ist hier unten, am Pazifik nebliges kühles Wetter, während weiter oben die Sonne scheint.
Nun fahren wir oberhalb des Rio Maule durch den Wald, vereinzelt stehen Häuser am Gleis und es wird auch hier als Gehweg genutzt, entsprechend intensiv wird gehupt. Bei einem mit Andreaskreuz markierten Bahnübergang erreichen wir Constitución. Wir überqueren die Strasse und fahren am Strassenrand, laut hupend durch die Stadt. Nach einer Links- und dann nach einer Rechtskurve fährt der Zug in den Bahnhof Constitución ein. Der Bahnhof verfügt über zwei Bahnsteige und ein stattliches Gebäude, wovon die Bahn nur die Fahrkartenausgabe benützt.
Der Zug entlässt die reich bepackten Passagiere, der Bahnsteig leert sich schnell. Wir haben 82 km Buscarril Fahrt ab Talca hinter uns. Doch es ist auch der entfernteste Punkt, den wir von Steinen aus je erreichten, 12‘160 km sind wir nun gereist.
Wer denkt, das jetzt die Bahnaktivitäten in Constitución beendet sind, irrt.
Kaum sind alle ausgestiegen und alles ausgeladen, fährt die ganze „Fuhre“ langsam und fest hupend rückwärts. Zwischen den zwei Kurven hält der Zug. Der hinterste Wagen wird abgehängt und der Triebwagen und Wagen 2 werden vorgezogen, eine Weiche wird umgestellt und der Triebwagen fährt rückwärts mit dem einen Wagen in ein Nebengleis unter Bäumen deren Äste so tief hängen, das sie an den Fahrzeugen aufliegen.
Schaffner, Barmann und zweiter Motorwagenfahrer schieben nun den einen Wagen in Richtung Bahnhof, von Hand! Derweil tollen Hunde umher und Menschen gehen schnell und langsam über das Gleis, das Rangiermanöver ist so normal, da schaut keiner hin. Plötzlich schleicht der Triebwagen wieder unter dem Baum hervor, kommt Richtung Station und fährt, nach umstellen der Weiche, wieder auf das Streckengleis raus. Der zweite Wagen wird auch abgehängt. Der Triebwagen fährt wieder vor und wieder unter den Baum zurück. Während das Personal auch den zweiten Wagen wieder von Hand in Richtung Station schiebt, ist der Triebwagen rückwärts auf dem Nebengleis auf die Drehscheibe gefahren und wird auch wieder von Hand gewendet. Nun kommt er rückwärts unter dem Baum hervor und wird mit den Wagen zusammengehängt und der ganze Zug schiebt sich wieder an den Bahnsteig, um für die abendlich Rückfahrt bereit zu sein. Doch das Personal hat noch keinen Feierabend. Drinnen wird gekehrt, jeglicher Abfall aufgenommen und draussen wird der Zug mit dem Wasserschlauch abgespritzt. Man reinigt alles so gut dies eben mit den vorhandenen Mitteln geht. Aber es wird gemacht.
Während ich dem Rangiermanöver zusah, trat eine vielleicht 50 jährige, etwas verwahrloste Frau an mich. Nein, sie wollte kein Geld. Sie sprach mich an: Gell, gut das der Zug immer noch fährt. Und ich erwidere, ja, eine gute kleine Bahn und funktioniert gut. Da sagt sie: „Ja und die wollten vor einigen Jahren den Zug stillegen“. Ich sagte nur: „Ja, in 2001“; „Correcto“ kam zurück und grad anschliessend, „aber es waren welche ‚ausserhalb‘ die es verhindert hatten“ (wer, weiss niemand, aber die Tatsache unserer Intervention ist offenbar weit herum bekannt, nicht nur beim Personal). Die Frau meinte noch mit einem Leuchten in den Augen „... und das Gott uns unsere Bahn erhält, denn ohne sie können wir nicht leben...“. Deutliche Worte auch aus den einfachsten Schichten, gerade jenen, welche die Bahn unbedingt brauchen. Kein Wunder, eine Bahnfahrt kostet 1400 Pesos (unter 2 Euro), eine Busfahrt (auf der anderen Talseite gibt es eine Strasse mit Busverkehr) 2000 Pesos und ein Linientaxi 2600 Pesos. Für die einfachen Leute ist der Preisunterschied schon spürbar.
Wir treten in die Bahnhofshalle von Constitución. Praktisch, die Hälfte davon ist ein einfaches aber gutes Restaurant und die haben sogar ein rollstuhlgängiges WC! Nach Kaffee und leckerem Sandwich mit Hühnchen erkunden wir Constitución. Grad gegenüber des Bahnhofs befindet sich der Bus- und Taxiterminal. Eine Strasse weiter gelingt es uns dann auch ein Taxi anzuhalten und wir lassen uns zum Strand fahren. Die Strecke ist nicht gerade kurz. Constitución liegt auf einer Art Ebene, etwas oberhalb der Küste im Westen und des Rio Maule im Norden, südlich der Stadt erben sich steile, meist bewaldete Hänge. Am Strand angekommen, es geht ein kühler Wind, graue Wolken über dem Pazifik, Wellen rollen auf den schwarz-grauen Strand. Die dunkle Farbe kommt vom Vulkangestein. Chile hat ja noch heute aktive Vulkane, einer bedrohte mit Lavaströmen soeben ein Dorf während unseres Aufenthaltes im Land. Einige hohe steile Felsen stehen in der Meeresbrandung. Einer, etwas weiter aussen, ist ganz weiss. Es ist einer von Möwen und Pelikanen bevölkerter Fels und das Weisse ist Guano, der Vogelkot, welcher einer der ersten Bodenschätze war, die schon zu spanischer Kolonialzeit, vorwiegend im Norden Chiles, abgebaut wurde. Hier findet man noch einen solchen Felsen. Wie weisse Eiszapfen hängt rundherum der Guano weit herunter.
Langsam und gemütlich treten wir den Rückweg zu Fuss in die Stadt an. Die Bewölkung lichtet sich etwas. Unterwegs kommen wir am grössten Arbeitgeber vorbei, einer recht neuen Zellstoffabrik, welche Holz aus chilenischen Wäldern verarbeitet. Leider hat die Bahn davon gar nichts, alles wird über die Küstenstrasse mit dem Lkw an- und abgefahren. Constitución hat fast nur niedrige, einstöckige Häuser und extrem hohe Gehwege.
Nach einer weiteren Stärkung und dem Kauf einer „Buscarril-Mütze“ warten wir auf dem Bahnsteig vor dem verschlossenen Zug. Bereits schleppen Leute Waren zum Zug, riesige Säcke mit Maiskolben, Kisten und Kartons voller Tomaten und anderer Früchte. Alles muss mit. Kurz vor 15.30 Uhr werden die Türen geöffnet, weshalb auch wir schon einsteigen, um diesmal ganz vorne im Schienenbus einen Platz zu bekommen. Da erst ab 15.30 Uhr der Fahrkartenverkauf beginnt, begibt sich Markus an den Schalter, vor welchem schon viele warten. Die Fahrkarten werden vom Schaffner am Schalter verkauft. Es gibt kein stationäres Bahnpersonal in Constitución. Der Zug füllt sich schnell und bis zur letzten Minute steigen Leute zu. Ich diskutiere noch intensiv mit dem Triebwagenfahrer und erzähle ihm auch, das ich „mitschuldig“ bin, das die Strecke nicht geschlossen wurde. Er ist sehr offen und gibt auf alle Fragen Antwort. Am meisten freut ihn, das man sogar in Europa vom Ramal Talca-Constitución weiss. Pünktlich geht die Fahrt los. Laut hupend wird wieder am Strassenrand aus der Stadt gefahren. Nach dem letzten Bahnübergang geht es unter Bäumen hindurch an den einzelnen Häusern vorbei. Ein Hund hat etwas Interessantes am Gleis gefunden und der laut hupende Triebwagen interessiert ihn überhaupt nicht, erst als der Fahrer die Bremsen zischen lässt, verschwindet der Hund. Hühner rennen aufgeschreckt umher. Wieder biegen wir auf die grosse Brücke. Erst in Maquehua wird wieder gehalten. Auch diesmal steigen an fast allen Stationen Leute ein und aus. Man merkt das wir von der Küste aufwärts fahren, beim Anfahren nach den Halten oder beim Beschleunigen tönt der Motor wie ein startender Hubschrauber, nur noch lauter. Am Ufer des Rio Maule sieht man Badende. Die Sonne ist inzwischen auch in Constitución durch die Wolken gedrungen. Bei den über dem Gleis stehenden vereinzelten Häusern leuchten blaue Trauben und Maiskolben sind zum trocknen ausgelegt. Geranien und manchmal auch Rosen blühen vor den Häusern. Vor González Bastias mitten im Wald an einer kleinen Strasse steigt eine ganze Familie, mit drei kleinen Kindern aus, sie scheinen „Aussteiger“ im sozialen Sinn zu sein. In González Bastias kreuzen sich die beiden Nachmittagszüge und die „Eierfrau“ verkauft wieder fleissig ihre Spezialität. Der Barmann hat sich hier mit Eiscreme eingedeckt und preist nach Zugsabfahrt diese lautstark an. Sie wird in einer Styroporbox kühl gehalten. Im weiteren Abschnitt halten wir nicht mehr an jeder Haltestelle, dafür zweimal auf offener Strecke, einmal um Passagiere aussteigen zu lassen, einmal wird der Triebwagen per Handzeichen angehalten. Mit etwas Verspätung treffen wir in Talca ein. Für die vorderen zwei Fahrzeuge stehen sogar hölzerne Rampen zur Verfügung, womit die untersten zwei Stufen überbrückt werden, die dritte hohe Stufe bleibt allerdings.
Wir konnten uns davon überzeugen, dass der Ramal Talca-Constitución eine absolute Notwendigkeit ist. Jede Entscheidung gegen diese Bahnstrecke würde für die lokale Bevölkerung verheerende Auswirkungen haben, denn nur Colín und Constitución sind auf der Strasse erreichbar, alle übrigen Orte sind auf diesen kleinen Zug angewiesen. Da in dieser Region auch die Einkommensverhältnisse eher tief liegen, kommt der tiefe Fahrpreis der Bevölkerung ebenfalls entgegen. Das Passagieraufkommen ist beachtlich und ein drittes Zugpaar wäre angebracht. Das die Strecke mehr Leistung erbringen kann, hat sie vor einigen Jahren bewiesen, als die Strasse zwischen Talca und Constitución auf der anderen Talseite einige Zeit lang gesperrt war und vier Zugpaare des Buscarrils die Anbindung von Constitución sicher stellen mussten.
In Talca gingen wir noch durch die Fussgängerzone und fanden eine Pizzeria. Pizza mit Palmherzen und Spargeln – ein Gedicht!
Mittwoch. Heute nehmen wir es gemütlich, obwohl mir noch „Arbeit“ bevorsteht. Also nehmen wir erst den Zug um 10.50 ab Talca. Dieser ist heute etwas besser besetzt, aber in der Preferente Klasse finden wir immer noch bequem Platz. Wieder „fliegt“ unser Zug regelrecht zwischen den Plantagen hindurch und durch die Dörfer an der Strecke und 15 Minuten vor Plan fahren wir in den Bahnhof Alameda ein.
Hier warten wir und pünktlich um 13.30 Uhr kommt Frau Eva Medalla auf uns zu. Eine attraktive junge Journalistin. Sie kennt einiges von Südamerika, da sie auch schon in Uruguay lebte und überdies auch bestens brasilianisches Portugiesisch und Englisch spricht. Sie schreibt für Business News America, einer englisch-spanischen Publikation für die Wirtschaftswelt ganz Lateinamerikas, auch mit Verbreitung in Nordamerika. Frau Medalla bekam meine Adresse vom Transportministerium Uruguays. So weit bin ich schon bekannt! In einem 90 Minuten langen Interview erzähle ich ihr was sie hören will. Der Zweck unserer Organisationen FLB und AIFFLA ist ein wichtiges Thema und was wir schon erreicht haben, aber natürlich auch die Situation und die Zukunft der Bahnen in Lateinamerika. Das Interview verläuft gut. Nach 16 Uhr fahren wir mit einem S-Bahnzug zurück nach San Bernardo. Da es nicht möglich war Luis telefonisch zu erreichen suchen wir den Weg zu seinem Haus selber. Eigentlich nicht so schwierig, denn der ganze Ort ist wie Schachbrett aufgebaut und man geht einfach soweit bis man den Park in der Ortsmitte sieht und von dort aus kann man sich wieder orientieren. So gelangen wir wieder wohlbehalten zu Luis zurück.
Donnerstag. Heute mache ich einen Ruhetag. Ich kontrolliere meine Emails und richte mein Gepäck für die Heimreise zurecht. Markus fährt noch einmal mit den Metrotren Zügen bis raus nach San Fernando, um weitere Wig Wag Signale zu fotografieren. Er findet noch einige, auch in einigen Orten unterwegs – nur keines ist mehr in Betrieb. Am Abend heizt Luis den Grill an. Fleisch ist in Südamerika wirklich von bester Qualität und dazu Salat aus den schmackhaften Tomaten und Zwiebeln und vieles mehr...
Freitag. Es ist soweit, unsere Reise durch vier faszinierende Länder geht zu Ende. Ein Taxi holt uns in San Bernardo ab und bringt uns zum Flughafen Santiago. Wir sind zwar noch etwas zu früh. Doch die Zeit vergeht auch. Nach dem Check-in gehen wir ins Restaurant. Diese Fruchtsäfte muss man einfach nochmals kosten. Ein halber Liter frischer Himbeersaft, ganz naturrein, sogar noch mit Kernen....! Herrlich. Noch einmal in regionalen Speisen schwelgen. Die letzten Pesos werden noch für einige Kleinigkeiten ausgegeben.
Uns fällt eine Schweizerin auf, die es schafft überall vorzudrängeln, unmöglich wie sie sich benimmt.
Mit etwas Verspätung fliegen wir von Santiago weg. Der Flug mit der brasilianischen Fluggesellschaft TAM verläuft wieder reibungslos. Über São Paulo müssen wir noch etwas kreisen, bis wir landen können. In São Paulo müssen wir umsteigen, alles verläuft reibungslos und die Sicherheitskontrolle lässt sogar die Spritze (gegen Wasser in den Beinen) im Handgepäck problemlos durchgehen. Nicht so bei der auffälligen Schweizerin. Das armlange Holzstück, welches sie am Koffer befestigt hatte, wird ihr von der Sicherheitskontrolle abgenommen – wohl aus Protest lässt sie sich, obwohl sie eine fite Fussgängerin ist, per Rollstuhl zum Gate bringen. Es dämmert schon als das Flugzeug abhebt. Wir überfliegen die brasilianischen Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais, Bahía, Sergipe und Alagoas und landen in Recife, der Hauptstadt von Pernambuco. Alles ist hell erleuchtet im südlichen Vorort von Recife, wo sich der Flughafen befindet. Man sieht das sich der Flughafen mitten zwischen den Häusern befindet. Etwa eine Stunde später heben wir wieder ab. Jetzt sind alle Plätze belegt. Die Nacht ist lang und schlafen nicht mög-lich, aber einmal ist auch ein solcher Flug vorüber.
Mit etwas Verspätung landen wir in Paris Charles de Gaulle. Obwohl mein Rollstuhl in São Paulo entsprechend markiert und verladen wurde, schaffen es die Zuständigen des Pariser Flughafens nicht diesen an die Türe des Flugzeuges zu bringen. Die komplette brasilianische Mannschaft wartet mit mir im Flugzeug auf den Rollstuhl und der Maître de Cabine ruft alle möglichen Stellen des Flughafens an, um den Verbleib des Rollstuhles zu erfahren. Sogar das hier vorhandene brasilianische Bodenpersonal wird aufgeboten. Nach 45 Minuten wird der Rollstuhl endlich gebracht. Aber Assistenz ist keine hier. Also suchen wir uns unseren Weg durch den Flughafen. An der Gepäckausgabe können wir im letzten Moment noch unser Gepäck abholen, es war schon für die Einlagerung bei den „verlorenen Gepäckstücken“ vorgesehen.
Als wir vor den Terminal treten, stellt sich die Frage wie wir zum anderen Terminal für den Air France Flug in die Schweiz kommen. Ja da stehen moderne Rufsäulen für Transferhilfen, also drücke ich den Knopf: ‚Ihr Anruf wird weiter geleitet‘, ‚Ihr Anruf wird weiter geleitet‘... so tönt es ab Band, aber nichts wird weiter geleitet. Nach vielen Minuten tönt es: ‘Ihr Anruf konnte nicht weiter geleitet werden.....‘. Wozu sind denn solche Einrichtungen da? Während wir also auf den normalen Bus warten, kommt der Maître de Cabine der TAM noch einmal vorbei und entschuldigt sich tausend mal für die Unannehmlichkeiten, obwohl weder er, noch TAM etwas dafür können. Er wolle eine scharfe Beschwerde bei der Verantwortlichen des Flughafen einreichen. Ob das hilft?
Endlich sind wir in einem Bus und kommen zum richtigen Terminal. Einchecken und es bleiben gerade noch 20 Minuten für WC und ein Getränk. Immerhin, hier kommt eine Assistentin, eine Französin, die darauf besteht mit uns nur deutsch zu sprechen, die uns bis zum Ausgang bringt und mit etwas Verspätung kommt auch das Spezialfahrzeug um mich ins Flugzeug einzuladen.
Bei schönstem Wetter fliegen wir nun von Paris nach Zürich. Die Vogesen und der Schwarzwald präsentieren sich schneereich.
In Zürich angekommen werden wir von Daniel abgeholt und es geht zurück nach Steinen, in die kalte Zentralschweiz.

Es war eine höchst interessante, aber viel zu kurze Reise. Vier Länder in Südamerika in drei Wochen. Welches das schönste oder beste Land war? Dies kann nicht beantwortet werden, es war überall sehr gut.
Ausserdem muss gesagt werden, das alles in Südamerika geklappt hat, oft wesentlich besser, als zuvor angenommen.
An dieser Stelle tausend Dank an Markus, das er mit mir diese Reise unternommen hat. Ebenso tausend Dank an alle, die in irgend einer Weise halfen, das diese Reise ein solcher Erfolg wurde.

Dieser Reisebericht ist Omar und Eva Gil Soja gewidmet!
Liebe Grüsse
Samuel


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BRASIL



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Bus von Caprioli Turismo in Campinas



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Chilis in allen Schärfegraden



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Bahnhof Anhumas in Campinas



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Im Bahnhof Anhumas



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Baum hinter Würgelianen



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Das grosse Treffen



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Alsthom Loks im neuen Bahnhof



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Brill Triebwagen in Victor Sudriers



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Estación Central innen



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Interviews in Montevideo



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Bahnmuseum Piriápolis



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Buquebus in Buenos Aires



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Der Obelisk von Buenos Aires



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Bahnübergang in Buenos Aires



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Stellwerk Ludueña in Rosaro



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Schrankenposten in Rosario



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Blick auf Rosario



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Ehemaliger Zentralbahnhof Rosario



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Flughafen Buenos Aires Ezeiza



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Die Pampa vom Flugzeug aus



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Zug von Metrotren südlich Santiago



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Der Pazifik bei El Quisco



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Trolleybusse in Valparaíso



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Ascensor Concordia, Valparaíso



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Merval Zug im Bahnhof Valparaíso



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Wig Wag Signal bei Nós



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Zug von EFE TerraSur nach Chillán



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Blick auf Talca



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Der Buscarril um 07.00 in Talca



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Guter Service im Buscarril



G Bastias
Gekochte Eier in González Bastias



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Rangieren in Constitución



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Andrang in Constitución



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Strand von Constitución
12160 km von Steinen entfernt